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       # taz.de -- Buch „Warum Theater“: Neubestimmung nach der Krise
       
       > Zwischen den Versprechen der Programmhefte und dem realen Theater klafft
       > oft eine große Lücke. Jakob Hayner geht in seinem Buch den Gründen dafür
       > nach.
       
   IMG Bild: Aktuell bleiben die Theater zu, wie hier das Teatro Colón in Buenos Aires
       
       „Wozu das Theater?“, überschrieb 1971 Joachim Fest im Spiegel seinen
       ketzerischen Artikel über die [1][tief sitzende Krise des Theaters.] Sein
       Fazit: „Theater muss nicht sein.“ 50 Jahre später befindet auch der 1988 in
       Dresden geborene Autor Jakob Hayner, das Theater befinde sich in einer
       Krise. Doch während Fest damals für die Musealisierung des Theaters
       plädierte, macht sich Hayner für seine Erneuerung stark.
       
       Dabei zitiert er in seinem Buch „Warum Theater“ [2][Heiner Müller], der
       einst forderte, die Theater zu schließen. Das könnte laut Hayner heute ein
       Ausdruck ernsthafter Reflexion sein und quasi den Nullpunkt darstellen, von
       dem eine Neubesinnung und -bestimmung ausgehen könnte. Weder Müller noch
       Hayner freilich ahnten, dass die Theater tatsächlich monatelang ihre Türen
       schließen müssen.
       
       Theoretisch kommt die Coronakrise also wie gerufen. Doch Jakob Hayner
       winkt auf Nachfrage ab, schon allein, weil sich Reflexion und Existenzangst
       nicht besonders gut vertrügen. Darüber hinaus sieht er momentan keine
       Ansätze für eine Veränderung der Theater. Viel eher schlage jetzt die
       Stunde der Digitalerneuerer, sagt er.
       
       In seinem Buch definiert Hayner das Theater als utopischen Ort, an dem das
       Seiende mit dem Denkbaren konfrontiert werden könnte, was aber viel zu
       selten geschehe. Die Krise des Theaters ist für ihn nicht nur ein Problem
       des Theaters, sondern vielmehr Ausdruck der Krise der Welt. Im Theater
       selbst zeigt sich das für ihn auch als Krise des Dialogs, die in einen
       Rückzug ins Monologische münde: „Es fehlt dramatische Literatur.“
       
       ## Kaum lobende Erwähnung
       
       In seiner Vorliebe für literarisches Theater weist er Gemeinsamkeiten mit
       dem Theaterkritiker Simon Strauß auf, während er in seinen sonstigen
       Ausführungen unverkennbar die Nähe des Systemkritikers Bernd Stegemann
       sucht. Daneben zieht Hayner beliebte Gewährsmänner zurate: Peter Brooks,
       Bertolt Brecht, Peter Hacks.
       
       Diejenigen, die sich von dem Buch erhoffen, viel über konkrete Vorlieben
       und Abneigungen des [3][Autors, der auch für die taz] schreibt und
       Redakteur von Theater der Zeit ist, zu erfahren, werden enttäuscht. Bis auf
       Christoph Marthaler erhält kaum jemand eine lobende Erwähnung.
       
       Das ist kein Zufall, geht es Hayner doch in erster Linie darum, einen
       Mangel zu artikulieren: „Ich denke viel über die Grenzen des
       Gegenwartstheaters nach und über all die enttäuschenden Abende, die ich
       gesehen habe. Im Programmheft wird einem die Welt versprochen, aber auf der
       Bühne gibt’s dann doch wieder nur Belanglosigkeit.“ Das ist eine Erfahrung,
       die regelmäßige Theatergänger*innen kennen.
       
       Dass das Buch beinahe ohne Namedropping auskommt, macht es einerseits zu
       einer Lektüre für Eingeweihte, weil es meist nur zwischen den Zeilen
       Anspielungen und höchstens mal einen Seitenhieb bietet, etwa gegen das
       Dokumentartheater. Andererseits muss man die Inszenierungen, auf die
       Hayner sich indirekt bezieht, nicht kennen, um seinen Ausführungen folgen
       zu können.
       
       ## Die Ästhetik des Performativen ist kein Alheilmittel
       
       Neben vielem bemängelt er die grassierende Überproduktion an den Theatern,
       die meinen, in immer kürzerer Zeit immer mehr produzieren zu müssen. Ein
       Umstand, der für Unmut sorgt und von dem manche hoffen, die Coronakrise
       könnte auch hier zur Besinnung führen. Denjenigen Intendanten, die
       besonders auf die Tube drücken, sei das Buch von Hayner jedenfalls
       besonders empfohlen.
       
       Von der Ästhetik des Performativen als Allheilmittel hält Hayner wenig, was
       er resolut und gepflegt apodiktisch zum Ausdruck bringt. Ihm geht es in
       erster Linie um das Widerständige in der Kunst, das auf die
       gesellschaftlichen Verhältnisse zielt. Dabei denkt er die Erneuerung des
       Theaters auch mit althergebrachten Mitteln: „Schein, Spiel und Mimesis.“
       
       Sie begründen für ihn nach wie vor die Modernität des Theaters und den
       Verächtern des schönen Scheins entgegnet er: „Es gibt auch einen Schein,
       der nicht betrügt.“ Die Bevorzugung des Realen im Gegenwartstheater hält
       er indes für neuzeitliche Bilderstürmerei. Dass das Theater nicht nur die
       Verhältnisse zeigen, sondern auch Wege aus diesen Verhältnissen hinaus
       weisen kann und sollte, davon ist er überzeugt.
       
       Man muss nicht seiner Meinung sein, um das Buch als willkommenen Anlass zu
       sehen, das Theater neu ins Visier zu nehmen. Gerade jetzt wäre genügend
       Raum, grundsätzliche Fragen nach dem Sinn und Zweck der ganzen Unternehmung
       zu stellen. Dass das Theater mehr auf dem Kasten hat, als die
       Unterhaltungsindustrie zu bedienen, darin herrscht doch (hoffentlich)
       Einigkeit. Oder, um es mit Jakob Hayner zu sagen: „Es ist an der Zeit zu
       überlegen, ob das Theater nicht mehr sein könnte als ein bloß schönes oder
       nützliches Spielwerk.“
       
       27 Apr 2020
       
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