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       # taz.de -- Streamingangebot des Kinos Arsenal: Glücksfall in Zeiten von Corona
       
       > Das Berliner Kino Arsenal betreibt seit kurzem ein Streamingangebot.
       > Wegen geschlossener Säle ist das Programm jetzt frei zugänglich.
       
   IMG Bild: Waschputz als Inbegriff der Freiheit: der Film „Aus westlichen Richtungen“ von Juliane Henrich
       
       Eine Reihe großer Plakate hängt an den Wänden des Berliner U-Bahnhofs
       Schillingstraße, zu sehen sind Titelseiten der Zeitschrift Namibia Today.
       Die Zeitschrift wurde in den 1980er Jahren herausgegeben von der
       namibischen Befreiungsbewegung und in der DDR gedruckt. [1][Die in Berlin
       lebende finnische Regisseurin und Künstlerin Laura Horelli] verwebt in
       ihrem Kurzfilm „Namibia Today“ die Ausstellung im U-Bahnhof mit den Stimmen
       von Zeitzeugen, die, im Bahnhof sitzend oder stehend, Verbindungslinien mit
       ihrer eigenen Biografie nachspüren.
       
       Sie macht so die heute weitgehend vergessene Geschichte des namibischen
       Befreiungskampfes sichtbar, der erst 1990 in der Unabhängigkeit endete. In
       räumlicher Verdichtung ergibt sich ein komplexes Bild von deutscher
       Kolonialgeschichte in Namibia, dem Befreiungskampf und dem
       Internationalismus der DDR-Außenpolitik.
       
       „Namibia Today“ entstand im Rahmen eines Projekts der Berlier neuen
       Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)und ist einer der Filme, den man in
       dieser Woche im Streamingangebot des Kinos Arsenal sehen kann. Schon seit
       etwa einem halben Jahr bietet das Arsenal neben den beiden Kinosälen am
       Potsdamer Platz mit „Arsenal 3“ Filme im Streaming an. Bislang musste man
       dafür eine Mitgliedschaft erwerben, doch nun hat das Arsenal das Angebot
       für alle geöffnet.
       
       In der Pressemitteilung heißt es treffend: „Die physischen Räume sind uns
       vorübergehend abhandengekommen, aber Kino ist ein sozialer Raum.“ Die
       nächsten Wochen präsentiert das Arsenal jede Woche ein wechselndes Programm
       mit Filmen aus seinem Verleihprogramm, teils liefen die Filme im Forum oder
       Forum Expanded. Das Angebot ist frei zugänglich, aber um Spenden wird
       gebeten, um den Filmemacher_innen mit angemessenen Lizenzzahlungen durch
       die finanziellen Engpässe zu helfen. Den Anfang machen 14 Filme.
       
       Ähnlich wie „Namibia Today“ eine komplexe Geschichte an einem Ort
       verdichtet, spürt eine ganze Reihe von Filmen aus dem Angebot historisch
       aufgeladenen Orten nach. „Was bleibt“ von der Medienkünstlerin Clarissa
       Thieme zeigt in unbewegten Einstellungen Orte in Bosnien-Herzegowina. Die
       Spuren des Kriegs sind spärlich geworden, doch durch die Banalität der
       Aufnahmen scheint das Grauen der Kriegsverbrechen, die sich an diesen Orten
       ereigneten. Thiemes Film ist ein Versuch, sich der Unsichtbarkeit von
       Geschichte in einer Landschaft zu nähern.
       
       ## Den eigenen Untergang verpasst
       
       Thematisch ganz anders gelagert, doch im Ansatz nicht unähnlich ist Juliane
       Henrichs einstündiger Dokumentarfilm „Aus westlichen Richtungen“. Rasen und
       Moos wuchern auf die Steinplatte hinüber. Westdeutschland in einem Bild.
       „Aus westlichen Richtungen“ ist eine Spurensuche nach einem Land, das bei
       der Wiedervereinigung unterging, vor lauter Selbstgefälligkeit aber den
       eigenen Untergang verpasst hat. Im Kommentar verknüpft die Filmemacherin
       persönliche Reflexionen und eine Kulturgeschichte Westdeutschlands.
       Graubrauner Waschputz, zum Inbegriff der Freiheit verklärt.
       
       „Aus westlichen Richtungen“ ist einer von einer ganzen Reihe von Filmen,
       die sich in den letzten Jahren der westdeutschen Nachkriegszeit angenommen
       haben – neben Regina Schillings Dokumentarfilm „Kuhlenkampffs Schuhe“ kommt
       Alex Gerbaulets „Schicht“ über eine Kindheit und Jugend in Salzgitter in
       den Kopf. „Aus westlichen Richtungen“ ist von diesen Filmen am stärksten an
       der Architektur als Ausdruck eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses
       interessiert.
       
       [2][Clemens von Wedemeyer] überträgt diesen Ansatz in „Transformation
       Scenario“ gewissermaßen in die schöne neue digitale Welt. In von Wedemeyers
       Film schichten sich Bildebenen zu einer Installation auf dem Bildschirm. Es
       entsteht eine komplexe Reflexion über Massenverhalten und Individualität.
       Der Film spannt einen Bogen von choreografierten Massenszenen in Filmen zur
       virtuellen Modellierung des Verhaltens von Menschen in sozialen Kontexten.
       
       ## Die Modellierung der Welt
       
       Ästhetisch bewegt sich der Film zwischen der Artifizialität visueller
       Modelle, Computerspiel und filmischem Blockbuster. Die Modelle speisen sich
       aus Unmengen von Bewegungsdaten, die modellierten Szenarien zeigen
       statistisch normiertes Verhalten: die Modellierung der Welt zwischen
       Dystopie und Verheißung.
       
       Das Streamingangebot des Arsenal ist einer jener Glücksfälle in Zeiten von
       Corona. Schon in den ersten 14 Filmen klingt jene Mischung aus politischer
       Reflexion, filmischem Experiment und Internationalität an, für die das
       Arsenal in seinem Kinobetrieb steht. Formale Vielfalt und Internationalität
       sind über die Zeit noch ausbaufähig, doch schon das Angebot der ersten
       Woche macht Lust auf Stöbern.
       
       Wer kann, sollte auch hier nach dem Sehen das Spenden nicht vergessen. Und
       wer sich dauerhaft für das Angebot begeistert, kann ja einfach gleich einen
       Dauerauftrag einrichten. Vielleicht bleiben so ein paar Nutzer_innen dem
       Angebot auch dann erhalten, wenn es eines Tages wieder einen „physischen“
       Kinobetrieb des Arsenal geben wird.
       
       26 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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