URI:
       # taz.de -- Honorarausfälle durch Corona: Bedroht mit existenzieller Wucht
       
       > Die Unruhe in der Kulturszene ist groß: Der Honorarausfall durch Corona
       > trifft eine Gruppe, die auch ohne Ausnahmezustand bereits prekär lebt.
       
   IMG Bild: Künstlerinnen sind bedroht: Skulptur von Leonora Carrington in der Schau „Fantastische Frauen“, Schirn, Frankfurt
       
       Den Kulturbetrieb trifft die Coronakrise hart, sehr hart. Durch die Absage
       von Kunst- und Buchmessen, Lesungen, Dreharbeiten und Konzerten entfallen
       Freischaffenden viele Monatseinkommen ersatzlos. Schriftstellerinnen und
       Moderatoren, Künstler und Drehbuchautorinnen, sie [1][stehen ohne Honorare
       da].
       
       Es gibt bereits viele Solidaritätsbekundungen und politische Maßnahmen.
       Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) kündigte Unterstützung für die
       Kulturszene an. Der Grünen-Abgeordnete Erhard Grundl fordert einen
       Notfallfonds. Der Berliner Senat unterstützt die in der Hauptstadt
       besonders zahlreichen Soloselbständigen und Kreativen mit 5.000 Euro
       Liquiditätshilfe alle sechs Monate. Und über 200.000 Menschen
       unterschrieben bereits eine Petition, die als sofortige Hilfe für
       Freiberufler und Künstler*innen ein [2][bedingungsloses Grundeinkommen] für
       sechs Monate fordert.
       
       Die Unruhe ist mehr als berechtigt. Tatsächlich droht ein kultureller
       Kahlschlag. Es gilt, sich klarzumachen, wie wenig Geld viele Menschen aus
       dem Kulturbereich haben. Der Corona-Shutdown trifft eine Gruppe, die auch
       ohne Ausnahmezustand bereits unter prekären Bedingungen lebt. Das zeigte
       zuletzt der Gesetzentwurf zur Grundrente, der im Februar verabschiedet
       wurde.
       
       Eigentlich eine gute Sache: Voraussichtlich 1,4 Millionen Menschen werden
       ab 2021 von der Aufstockung ihrer spärlichen Rente profitieren. Denn sie
       erfüllen die Bedingungen. Sie haben 33 Jahre lang gearbeitet,
       Rentenbeiträge eingezahlt und dabei mindestens ein Drittel des aktuellen
       Durchschnittseinkommens verdient.
       
       ## Verdienste unter 11.361 Euro im Jahr
       
       Doch 20.000 Künstler*innen erfüllen diese Bedingungen keineswegs, das
       meldete die Allianz der Freien Künste unter Berufung auf Zahlen der
       Künstlersozialkasse (KSK). Zwar haben auch sie 33 Jahre lang gearbeitet,
       aber sie haben zu wenig verdient, nämlich weniger als 30 Prozent des
       Durchschnittseinkommens, also unter 11.361 Euro im Jahr.
       
       Das scheint paradox. Sollte die Grundrente nicht gerade denjenigen
       zugutekommen, die am meisten auf sie angewiesen sind? Ausgerechnet sie
       gehen jetzt leer aus. Und: 92 Prozent dieser Gruppe sind Frauen. Es ist
       davon auszugehen, dass der Frauenanteil unter den Freiberuflern, die nun
       vom Corona-Ausfall betroffen sind, auch hoch ist.
       
       92 Prozent von 20.000: Das sind 18.400 deutsche Künstlerinnen, die keinen
       Anspruch auf die Grundrente haben. Schaut man auf die bildende Kunst, sind
       89 Prozent derer, die durchs Rast fallen, Frauen. In der darstellenden
       Kunst sogar 93 Prozent und schier unglaubliche 100 Prozent in der Musik.
       Hier sind es also ausschließlich Frauen, die keine Grundrente bekommen
       werden.
       
       So sagen es die Zahlen der KSK. In diesen Prozenten manifestiert sich die
       Ungleichbehandlung der Arbeit von Frauen – ein strukturelles Problem. Es
       wird sich durch Corona noch verschärfen.
       
       ## Gender Pay Gap 47 Prozent
       
       Ein [3][Blick in den Kunstmarkt] zeigt: 2018 waren an deutschen
       Kunsthochschulen mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen. Doch im
       Verlauf ihrer Karrieren werden Künstlerinnen weniger in Galerien vertreten,
       ihre Kunst wird zu geringeren Preisen verkauft, und sie ist in staatlichen
       wie auch in privaten Sammlungen unterrepräsentiert.
       
       Tatsächlich wird Kunst schlechter bewertet, wenn sie von Frauen gemacht
       ist. Das ist das Ergebnis der internationalen Studie „Ist Geschlecht eine
       Frage des Betrachters?“. Sie vergleicht die erzielten Auktionspreise der
       Kunst von Frauen und Männern in 45 Ländern. Der durchschnittliche Gender
       Pay Gap beträgt 47 Prozent.
       
       Darauf folgte ein Experiment. 1.000 Teilnehmenden wurden zehn Gemälde
       gezeigt. Sie sollten das Geschlecht des Künstlers erraten und dann angeben,
       wie sehr ihnen das jeweilige Bild gefällt. Die Ergebnisse zeigen, dass
       niemand in der Lage ist, das Geschlecht eines Künstlers durch seine Arbeit
       zu bestimmen. Trotzdem wird öfter angenommen, der Künstler sei männlich.
       Die Gemälde, deren vermeintliche Urheber Frauen sind, werden schlechter
       bewertet. Die Mehrheit scheint es also mit Georg Baselitz zu halten, der
       behauptete, Frauen seien einfach keine guten Maler.
       
       ## Sonderregelung für Kulturschaffende?
       
       Die Studie zeigt, wie tief die Diskriminierung von Künstlerinnen in der
       Gesellschaft verankert ist. Fragt man sich ohnehin, wie es Künstlerinnen
       gelingt, unter diesen Bedingungen zu leben, stellt sich diese Frage nun in
       Zeiten der Krise mit existenzieller Wucht.
       
       Der Gesetzgeber möchte mit der 30-Prozent-Regelung verhindern, dass
       Menschen, die nur einer Nebentätigkeit nachgegangen sind, auch einen
       Anspruch auf Grundrente haben. Da so viele Kreative diese Hürde aber nicht
       stemmen, wird ihre künstlerische Arbeit nun zum Hobby degradiert. Sollte es
       also eine Sonderregelung für Kunstschaffende geben?
       
       Nein, sagt Stefan Behrmann von der Allianz der Freien Künste, man müsse in
       einer solidarischen Gemeinschaft eine Lösung finden, die alle Menschen
       einschließt. Es gebe zwar eine spezielle Schutzwürdigkeit von
       Kunstschaffenden, „aber wir wollen keine Spaltung“.
       
       ## Qualifizieren für die Grundrente
       
       Der Bundesverband Bildender Künstler*innen fordert eine Untergrenze von 10
       statt 30 Prozent des Durchschnittseinkommens. So könnte sich ein Großteil
       der Kunstschaffenden für die Grundrente qualifizieren. Die Grünen
       ihrerseits fordern, große Internetplattformen wie YouTube zu verpflichten,
       KSK-Abgaben zu zahlen. Sie schlagen zudem das Konzept der Garantierente vor
       – 30 und mehr Versicherungsjahre würden zu einem festen Betrag einer
       Mindestrente aufgestockt.
       
       Gerade jetzt wird klar, wie unzureichend Kulturschaffende vor Altersarmut,
       aber auch vor unsicheren Krisenzeiten geschützt sind. Und in den Zeiten des
       Shutdown beginnen wir zu ahnen, wie trist ein Leben ohne Kultur und Kunst
       ist.
       
       21 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Corona-und-der-Kulturbetrieb/!5668454
   DIR [2] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5589159
   DIR [3] /Die-Zehnerjahre-in-der-Kultur/!5644237
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marlene Militz
       
       ## TAGS
       
   DIR Kulturpolitik
   DIR Grundrente
   DIR Frauenpolitik
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Bedingungsloses Grundeinkommen
   DIR taz.gazete
   DIR Bedingungsloses Grundeinkommen
   DIR Kunst Berlin
   DIR taz Plan
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Familie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Eine Petition zum Grundeinkommen: „Das Geld ist unser Geld“
       
       Tonia Merz betreibt eine Manufaktur für Korsetts und hat während der
       Coronakrise eine Petition fürs bedingungslose Grundeinkommen gestartet.
       
   DIR Was der Kultur im Netz verloren geht: Hört auf zu streamen!
       
       Die Virtuosen des Analogen stürzen sich jetzt ins Netz. Warum digitale
       Parallelaktionen die Künste nicht retten und Ausbeutung vorantreiben.
       
   DIR Spanien plant Grundeinkommen: Lebenslang Geld für jeden
       
       Die Corona-Pandemie könnte es möglich machen: In Spanien plant die
       Regierung Sánchez ein lebenslanges Grundeinkommen für alle.
       
   DIR Berliner Kunstprojekt in Coronazeit: Knoten schaffen in der Krise
       
       „Times in Crisis“, ein Projekt der Klosterruine, zeigt Videotagebücher von
       Berliner Künstler*innen – und zahlt ihnen dafür sogar ein Honorar.
       
   DIR Musiktipps für Berlin: Jeder Tag ist wie Sonntag
       
       Die Clubs und Konzertorte sind geschlossen. Dafür streamen Musiker*innen
       und DJs was das Zeug hält. Der taz plan gibt einen Überblick.
       
   DIR Kunst in der Coronakrise: Nazipelz und ein Kilo Kokain
       
       Käthe Kruses Wortschau „Ich sehe“ ist zwar geschlossen. Durch die
       Schaufenster der Galerie lässt sie sich aber von außen betrachten.
       
   DIR 48 Stunden Neukölln: Festival im Netz
       
       Wird weder verschoben noch abgesagt: Das Kunstfestival „48 Stunden
       Neukölln“ findet im Juni als digitale Variante statt.
       
   DIR Senat verschärft Auflagen gegen Corona: Versammeln verboten
       
       Treffen ab zehn Personen sind in Berlin nun verboten. Restaurants dürfen
       nur noch Speisen zum Mitnehmen anbieten. Und das Abitur wird verschoben.
       
   DIR Corona-Dämmerung für Neoliberalismus: Ende einer Theorie
       
       Die Pandemie zeigt: Den Neoliberalismus kann man getrost beerdigen. Nur der
       Staat kann den Kapitalismus retten.
       
   DIR Hilfe für die Ausgehszene: Der Tanz geht weiter
       
       Hamburgs Clubszene ist von Corona schwer getroffen. Viele Clubs sind akut
       von Insolvenz bedroht. Helfen sollen eine Spendenkampagne und Soli-Aktionen
       
   DIR Folgen der Corona-Epidemie: Senat verhängt Ausgangsbeschränkung
       
       Restaurants müssen schließen und Versammlungen von mehr als sechs Personen
       sind in Hamburg nun untersagt. Am Sonntag wird über eine Ausgangssperre
       entschieden.
       
   DIR Alltag und Familie im Corona-Modus: Corona-Chor im Mietshaus
       
       Familienleben im Ausnahmezustand. Die Alten: im Krisenmodus. Die Kinder
       dagegen: Musterbeispiele staatsbürgerlicher Vernunft- wer hätte das
       gedacht?