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       # taz.de -- Serie: Was macht eigentlich …?: Das Schockhafte der Masse
       
       > Im Textilhafen, einem Upcycling-Projekt der Stadtmission, werden
       > Kleiderspenden zu Nützlichem und Schickem verarbeitet. Wie ist die Idee
       > angelaufen?
       
   IMG Bild: Kreativ am Bügelbrett: Die Produktion läuft im Textilhafen an der Storkower Straße
       
       Trostlos gibt sich die nördliche Storkower Straße an diesem
       Dezembermorgen: graue Platten, graue Parkplätze vor grauem Winterhimmel.
       Einzig durch die Glastür der Nummer 139D fällt farbiges Licht. Drinnen
       machen das rote Sofa, ein regenbogenfarbiger Wandteppich und karierte,
       getupfte, gestreifte Klamotten in den Stahlregalen die Fabrikhalle zum
       kreativ-wohnlichen Loft.
       
       Hier, im Verkaufsraum des Textilhafens, eines Upcycling-Projekts der
       Berliner Stadtmission, kann man Ana Lichtwer und Mario Weindl treffen.
       Lichtwer, eine energische Frau um die 50, leitet seit 2015 die Komm und
       Sieh gGmbH, die Trägerin des Second-Hand-Projekts ist. Weindl, ein
       sportlicher 40-Jähriger, leitet den Textilhafen.
       
       Im Juni ist das [1][Upcycling-Unterfangen] gestartet, wie geht es dem
       Textilhafen jetzt? „Die Befürchtungen, die wir im Juni hatten, haben sich
       dramatisch verschärft“, erklärt Weindl und zeigt den hallenhohen Berg von
       blauen Säcken voller Textilien in der Sortierhalle hinter dem Verkaufsraum.
       Er meint: Es sind noch mehr Säcke, als sie befürchtet haben.
       
       „Alle reden beim Klimaschutz über Verkehr und über Flüge, keiner spricht
       über Kleidung, über die fast fashion. Elf Kilogramm CO2 entstehen allein
       bei der Produktion eines weißen T-Shirts“, so Weindl. „Es braucht endlich
       ein Gesetz, das die Verantwortung für Textilkreisläufe regelt“, ergänzt
       Lichtwer. „Die Frage ist doch: Wie kommen wir als Gesellschaft auf zero
       waste?“
       
       ## 15 Tonnen Kleidung pro Woche
       
       Bereits zum Auftakt im Juni hatte [2][Lichtwer der taz im Interview das
       Berliner Textilproblem erklärt], das so oder ähnlich auf alle Ballungsräume
       in Deutschland und Europa zutrifft: „Allein wir von der Berliner
       Stadtmission bekommen über 10 Tonnen Kleidung pro Woche gespendet. Im
       vergangenen Jahr kamen insgesamt 882 Tonnen zusammen.“ Mittlerweile gehen
       die Stadtmissionar*innen von 15 Tonnen wöchentlich aus, besonders in der
       Zeit um Weihnachten werde viel gespendet und der Lagerraum knapp. Anderen
       Organisationen wie dem Roten Kreuz gehe es ähnlich, weiß Weindl zu
       berichten. Auch die Verwertungsindustrie in Osteuropa sei übersättigt.
       
       Nur 20 Prozent der gespendeten Kleidung lässt sich laut Lichtwer und Weindl
       im Sinne der Stadtmission nutzen, also um Obdachlose mit Kleidung zu
       versorgen. Denn es werde vor allem Damenkleidung gespendet, aber der größte
       Teil der Berliner Obdachlosen sei männlich. Außerdem werde viel
       Beschädigtes abgegeben, das sich weder zum Verkauf noch für die Versorgung
       der Menschen auf der Straße eigne. Lichtwer über das Kriterium, mit dem man
       hier sortiert, das sich aber auch Spender*innen zu Herzen nehmen könnten:
       „Was ich nicht meinen Freunden weitergeben würde, das eignet sich auch
       nicht für obdachlose Menschen.“
       
       Doch Sortieren ist nicht die zentrale Aufgabe, der man sich im Textilhafen
       widmen möchte – vielmehr steht die Konsumbildung im Vordergrund. „Wir
       möchten ein Raum der eigenen Erkenntnis sein“, erklärt Ana Lichtwer,
       „insbesondere für Jugendliche, die von Kindern zu selbstständigen
       Konsumenten werden.“ Dabei setzt das Team des Textilhafens in seinen
       Workshops einerseits auf das schockhafte Erleben der schieren Masse an
       Kleidung im Lager, andererseits auf das experimentelle Arbeiten mit dem
       aussortierten Material.
       
       Tim van der Loo sitzt an einem etwa sechs Meter langen Tisch voller
       Nähmaschinen, Scheren, Druckfarben und zerschnittenen Hemden. Der studierte
       Textildesigner arbeitet mit den bis zu 25 Personen, die sich für einen
       Upcycling-Workshop im Textilhafen anmelden können. Van der Loo zeigt die
       bunten Boxershorts, die er mit Workshop-Teilnehmer*innen aus unbrauchbaren
       T-Shirts näht. „Davon geht etwa die Hälfte in die [3][Kleiderkammer für
       Obdachlose], die andere Hälfte verkaufen wir zugunsten der Stadtmission“,
       erklärt der Designer.
       
       ## Unterhosen sind heiße Ware
       
       Unterhosen müssten die Obdachloseneinrichtungen sonst ankaufen, der Bedarf
       ist hoch. Doch auch hippe Oberbekleidung entsteht hier unter Mithilfe des
       Experten. Alttextilien werden neu zusammengesetzt und mittels eines
       einfachen Druckverfahrens mit Lavendelöl mit Motiven versehen. Auch einen
       Webstuhl gibt es im Textilhafen, mit dem in Streifen geschnittene Kleidung
       zu Teppichen verarbeitet wird.
       
       Etwa 3 Prozent des gespendeten Materials finden durch diese
       Do-it-yourself-Techniken eine Wiederverwendung, berichten van der Loo,
       Lichtwer und Weindl – und der Bildungserfolg zeige sich im Gespräch mit den
       keineswegs nur jugendlichen Workshopteilnehmer*innen. „Im November hatten
       wir 13 Unternehmen hier, die den Workshop als Teambuilding-Maßnahme genutzt
       haben. Ohne dass wir dafür Werbung gemacht hätten“, erzählt Lichtwer.
       Demnächst wird das Textilhafenteam die Bilanz des Gründungsjahrs ziehen.
       „Es läuft gut, obwohl wir eigentlich keine Strukturen haben“, meint Tim van
       der Loo, „aber es tut weh, immer noch so viel wegwerfen zu müssen.“
       
       29 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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       dämmen.