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       # taz.de -- Fran Ross' Roman „Oreo“: Superheldin auf Suche
       
       > Afroamerikanerin, Jüdin, leidenschaftliche Autorin: Fran Ross und ihr
       > 1970 erstmals erschienener Roman „Oreo“ wurden wiederentdeckt.
       
   IMG Bild: Schreibt mutige, schräge, nicht immer zugängliche Prosa: Fran Ross, 1935–1985 (undatiertes Bild)
       
       Generationen von feministischen Forscher_innen haben ihre Zeit damit
       zugebracht, vergessene feministische Autor_innen auszugraben – um den
       Kanon, samt seiner Herrschaft von vornehmlich (weißen) männlichen Autoren,
       neu zu schreiben. Viele dieser wiederentdeckten Autor_innen sind ein
       zweites Mal vergessen worden.
       
       Manchen wiederum wurde tatsächlich zu einer internationalen
       Leser_innenschaft verholfen, wenn auch posthum. Die US-Autorin Lucia Berlin
       oder die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector etwa zählen zu
       diesen erst jüngst neu aufgelegten, neu übersetzten und neu gefeierten
       Stimmen, die uns zwar aus der Vergangenheit erreichen, aber eine Frische
       ausstrahlen, als sei ihre Zeit eben jetzt erst gekommen.
       
       Fran Ross ist die neueste dieser Wiederentdeckungen. Eventuell die
       Mutigste, möglicherweise nicht die Zugänglichste, ganz sicher aber die
       Schrägste unter ihnen. 1985 ist Ross im Alter von 50 Jahren an Krebs
       gestorben, viel ist von ihrem Leben nicht bekannt, außer dass sie in
       Philadelphia geboren, mit 25 nach New York gezogen ist und als
       Korrekturleserin und Journalistin tätig war. Und eben dass 1970 ihr
       einziger Roman erschienen ist, dem nur ein paar winzige Rezensionen
       gewidmet wurden. Mehr nicht.
       
       ## Innen weiß, außen schwarz: Oreo
       
       „Oreo“ heißt das Buch, das 2015 in den USA neu gedruckt wurde und nun
       erstmals auf Deutsch erscheint. Der Titel des Romans bezieht sich nicht nur
       auf den berühmten Keks, der innen weiß und außen schwarz ist, es ist auch
       der Kosename von Romanheldin Christine Clark, die – wie die Autorin Fran
       Ross selbst – als Tochter einer Afroamerikanerin und eines Juden in
       Philadelphia aufwächst.
       
       Gleich zu Beginn der Geschichte wird von dem Unbehagen berichtet, das die
       Familien beider Elternteile bei dieser gemischten Partnerschaft im
       gespaltenen Amerika der 1950er Jahre ereilt: Christines Oma
       väterlicherseits stirbt auf die Nachricht hin an einem Herzinfarkt, ihr
       schwarzer Opa väterlicherseits erstarrt zu einem halben Hakenkreuz.
       
       Schwarzer Humor erweist sich als eine der Kernstrategien, mit deren Hilfe
       Ross die Absurdität demaskiert, welche sich hinter der Idee
       festgeschriebener Identitäten verbirgt. Christine ist ein Hybrid und alles
       an ihr steht dafür: ihr Sound, der zwischen schwarzem Slang, Jiddisch und
       Fantasiesprache hin und her changiert. Ihr Körper, der zugleich wunderschön
       und mit 16 so superheldenhaft trainiert scheint, dass er jeden erwachsenen
       Mann um den Verstand bringen und anschließend auf die Fresse legen kann,
       etwa wenn er ihren Afro berührt.
       
       ## Abenteuerliche Vatersuche
       
       Und dann ist da noch ihre abenteuerliche Vatersuche in New York, die sich
       am Theseus-Mythos orientiert, jedoch viel weniger Sinn und viel mehr Chaos
       stiften will als das griechische Original. Zuhälter werden verprügelt,
       Pädophile übers Ohr gehauen, sadistischen Kindern Lektionen in Tierschutz
       erteilt, während Christine sämtliche Samuel Schwartze im New Yorker
       Telefonbuch abklappert.
       
       Denn dieser eine, ihr Vater, hat seine Familie schon früh verlassen, weil
       er, so begründet es Christines Mutter Helen, ein „Schmock“ ist. Eine Liste
       unverständlicher Hinweise, die ihr Vater ihr hinterlassen hat, soll
       Christine helfen, ein Geheimnis zu lüften, das mit ihrer Geburt zu tun hat.
       
       Christine ist keine dreidimensionale Figur, kein realistischer Charakter,
       nichts an ihrer Geschichte will „authentisch“ wirken. Da sind
       Zwergenfamilien, Jungfernhäutchen aus Wundermetall,
       Nachbarschaftsnymphomaninnen, die ihre Väter verführen. Zu Beginn fragt man
       sich noch stellenweise, was die Autorin mit dieser oder jener Szene
       bewirken will, doch diese Fragen wischt man lieber schnell beiseite, wenn
       man Spaß haben will mit diesem wahnsinnigen Buch. Und den kann man wirklich
       haben.
       
       Selten merkt man einem Roman so sehr an, mit welcher Leidenschaft am
       Schreiben er verfasst wurde, mit wie viel Freude daran, auf sämtliche
       literarische Konventionen komplett zu pfeifen. Vielleicht ist das die Art
       von Spaß die Pynchon- oder Foster-Wallace-Fans verspüren, wenn sie über
       deren postmodernen Wälzern schmunzeln? Nur dass Fran Ross’ Heldin sexier,
       cooler und lustiger daherkommt als die Protagonisten vieler ihrer Kollegen.
       
       ## Black Power und Feministinnen
       
       Im Rückblick überrascht es wenig, dass „Oreo“ 1970 kein Publikum fand. Die
       Black-Power-Bewegung befand sich auf ihrem Höhepunkt, die
       Zweite-Welle-Feminist_innen verschafften sich gerade Gehör – und dann war
       da dieses Buch, das zwar nicht unpolitisch, aber für seine Zeit viel zu
       subtil wirkt und sich jeder Eindeutigkeit und allem Pamphlethaften
       verwehrt. Und dann auch noch so jüdisch ist?
       
       Heute, gut 50 Jahre später, erklärt die US-Dichterin und
       Literaturwissenschaftlerin Harryette Mullen, die „Oreo“ wiederentdeckte,
       den Roman zu einem der wichtigsten, weil sehr seltenen satirischen Texte
       schwarzer Autor_innen. Im Nachwort der deutschen Ausgabe ergänzt der
       Essayist und Lyriker Max Czollek, dass es sich zugleich um einen wichtigen
       Beitrag zur jüdischen Literatur handelt. So scheint „Oreo“ nun endlich am
       Ziel, nämlich im literarischen Kanon angekommen zu sein, auch wenn die
       Reise eine beschwerliche war.
       
       18 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatma Aydemir
       
       ## TAGS
       
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