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       # taz.de -- Eröffnung der Frankfurter Buchmesse: Wachrüttelnde Worte
       
       > Die Frankfurter Buchmesse eröffnet mit Reden zur Verteidigung der
       > Demokratie. Norwegen ist das richtige Gastland zur richtigen Zeit.
       
   IMG Bild: Der norwegische Schriftsteller Karl-Ove Knausgård sprach zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse
       
       Es blieb am Dienstagabend der norwegischen Journalistin und
       Schriftstellerin Erika Fatland vorbehalten, die einprägsamsten Worte dafür
       zu finden, welche Bedeutung die Literatur in ihrem Heimatland für viele
       Menschen hat. Die Osloer Autorin, in Norwegen mehrfach ausgezeichnet,
       erzählte von ihrer verirrten und einsamen Teenagerzeit, als ihre
       „Jugendrevolte darin […] bestand, dass ich die obligatorische sonntägliche
       Wanderung mit der Familie schwänzte, um Hamsun zu lesen“. Ihr Vater
       hingegen habe nie gelesen, er lese bis heute nicht, „und damit entgeht ihm
       die allerwichtigste Erfindung der Menschheit überhaupt“. Denn Literatur, so
       Fatland, habe die „Sprengkraft“, Menschen, Leben und Politiken zu ändern.
       
       Norwegen ist der diesjährige Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, und so
       haltungsstark, selbstbewusst und eigenwillig, wie sich das Land bei der
       Eröffnungsfeier präsentierte, dürfte es das richtige Gastland zur richtigen
       Zeit sein. Die Redner_innen, ob Ministerpräsidentin Erna Solberg oder
       Schriftsteller Karl-Ove Knausgård, sprachen über ihre tiefe Prägung durch
       die Literatur und die Sprache: „Ich habe immer gelesen, um von anderen
       etwas zu erfahren“, sagte Solberg. Literatur diene dazu, jenes Andere zu
       verstehen: „James Baldwins Beschreibungen, wie es war, ein schwarzer
       schwuler Mann während der Zeit der Bürgerrechtsbewegung zu sein, begleiten
       mich zum Beispiel bis heute.“
       
       Starautor Knausgård verwies dagegen auf eine andere Qualität des
       geschriebenen Worts: „Eines der wichtigsten Merkmale der Literatur ist ihre
       Langsamkeit“, sagte er. Sein Vortrag war ein Ritt durch die
       (Literatur-)Geschichte und ein kulturhistorischer Streifzug durch das
       innovationsfreudige Deutschland vergangener Jahrhunderte.
       
       Knausgård sprach über Don Quichotte und Johann Georg Faust, über Gutenberg
       und den Buchdruck, über Karl Benz und den ersten Autobau im Jahr 1885. Um
       von dort aus nahtlos zum CO2-Output von heute zu kommen: „Karl Benz […]
       ahnte nicht, dass in Zukunft jährlich eine Million
       zweihundertfünfzigtausend Menschen bei Verkehrsunfällen umkommen würden.
       Ebenso wenig wusste er, dass der CO2-Ausstoß dazu führen würde, dass die
       Erde sich erwärmen, das Eis schmelzen und das Wasser ansteigen würde, dass
       Waldbrände wüten, Wüsten sich ausbreiten und Tierarten aussterben würden.“
       
       ## Gemeinsam das Schlechte tun
       
       Die Dialektik des technischen Fortschritt erklärte er mit dem Philosophen
       Michel Serres: „Dieses Phänomen, dass die gut gemeinte Tat des einen in ein
       unkontrollierbares Übel umschlägt, sobald aus dem einen viele werden, nennt
       der französische Philosoph Michel Serres die Erbsünde. Das Teuflische daran
       ist, selbst wenn wir jeder für sich das Gute wollen, tun wir gemeinsam das
       Schlechte.“ Da war Knausgård sehr nah an der klimapolitischen Doppelmoral
       der Gegenwart.
       
       Mit Norwegen ist auch jenes Land Ehrengast, das dreimal hintereinander auf
       Platz 1 der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen stand
       und das beim Demokratieindex des Economist ebenfalls seit Jahren oben
       steht, während Deutschland von den Champions-League-Rängen aktuell weit
       entfernt ist und auf Rang 13 vor sich hin dümpelt.
       
       Der unermüdlich engagierte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des
       Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, erinnerte daran, dass auch unser
       Grundgesetz, gerade 70 geworden, nur eine Vereinbarung auf Papier ist. Und
       er gemahnte an den inhaftierten saudischen Blogger Raif Badawi, dessen Fall
       mehr und mehr in Vergessenheit gerät, genauso wie an die Opposition in
       Hongkong (für sie und für den in China inhaftierten Autor, Verleger und
       Buchhändler Gui Minhai sollen am Donnerstag Solidaritätsregenschirme
       aufgespannt werden).
       
       ## „Erschütterung allein reicht nicht mehr“
       
       Wachrütteln sollten die Reden bei der Eröffnungsfeier der Buchmesse zuletzt
       allzu oft – aber sollte sie es jemals mehr als 2019? Den Ton dafür setzte
       schon zu Beginn Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, der den
       Anschlag von Halle sofort in seinen ersten Worten aufgriff: „Seit ein paar
       Tagen wird in Deutschland gefordert, jüdische Einrichtungen besser zu
       schützen. Ich schäme mich dafür, dass so etwas wieder gesagt werden muss.
       Stattdessen sollten wir alles dafür tun, damit jüdische Einrichtungen nie
       wieder von irgendjemandem beschützt werden müssen.“ Außenminister Heiko
       Maas fügte hinzu: „Erschütterung allein reicht nicht mehr. Unser ‚Nie
       wieder‘ klingt nach jeder neuen Tat hohler.“
       
       Es waren zwei durch und durch politische Stunden, die die Buchmesse 2019
       einläuteten. Die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit, so etwas wie der
       gute Geist der Buchmesse, verlas dabei nicht nur Olav H. Hauges Gedicht
       „Der Traum in uns“ (dem das Motto des Gastlandauftritts entliehen ist),
       sondern schwang am Ende auch den Hammer, um die fünf Messetage offiziell zu
       eröffnen.
       
       Die Eröffnung war zudem ein Plädoyer für eine offene politische
       Streitkultur, wie nicht nur ein Dissens auf offener Bühne zwischen Erika
       Fatland und Ministerpräsidentin Erna Solberg über Kunstfreiheit in Norwegen
       zeigte (Letztere hatte eine Ibsen-Theaterproduktion kritisiert).
       
       Eine Debatte, die wohl die Buchmesse beherrschen wird, ist die über den
       [1][Literaturnobelpreis für Peter Handke] – im Übrigen hat da auch Norwegen
       ja mit dem eingangs erwähnten Knut Hamsun, der 1920 die Auszeichnung
       erhielt und später ein glühender Nazi-Verehrer war, seine Erfahrungen
       gemacht. Und vielleicht ist es ja der Fall Peter Handke und dessen Werk
       seit den Neunzigern, das einen daran erinnern kann, dass „die“ Literatur
       keineswegs immer nur der Verständigung dient und dass die „Sprengkraft“,
       die Fatland ansprach, sich in ihrer Wirkung ganz schnell ins Gegenteil
       verkehren kann.
       
       16 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Literaturnobelpreis-fuer-Peter-Handke/!5629204&s=buchmesse/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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