URI:
       # taz.de -- Debatte über Waldsterben: Ein Wald voller Fragen
       
       > Der Zustand des Waldes ist ernst. Forstleute und Umweltschützer sind
       > verunsichert. Das bietet Chancen für eine neue Streitkultur.
       
   IMG Bild: Der Tod frisst sich durch den Wald – der Klimawandel fordert ein weiteres Opfer
       
       Gerät da etwas in Bewegung, oder verhärten sich die Fronten? Das ist schwer
       einzuschätzen nach dem [1][Waldgipfel] von Forstministerin Julia Klöckner
       am Mittwoch in Berlin. Das Setting war klassisch: Ein prall gefüllter
       Konferenzsaal mit dickem Teppich, Herren in Anzug und Loden. Immerhin die
       Tischdeko zeigte in Richtung Mischwald: Jutesäcke mit Stecklingen aus
       Buchen, Tannen, Eichen. Erwartbare Reden von Politik, Forschung und
       Verbänden reihten sich aneinander, in denen die [2][Katastrophe des Waldes]
       – 180.000 Hektar Fläche, die von Dürre, Hitze, Stürmen und Borkenkäfer
       vernichtet worden sind – beschrieben und interpretiert wurde.
       
       Die verschiedenen Interessengruppen meldeten ihre Ansprüche an –
       Waldbesitzer, Förster, Wissenschaftler, Jäger – oder bedankten sich schon
       mal artig für den Scheck von rund 800 Millionen Euro, den Bund und Länder
       zur Krisenbewältigung ausstellen wollen. Das tat auch die Vorstandsfrau des
       Dachverbands Netzwerk der Forstunternehmer und Forsttechnik: Angesichts von
       105 Millionen Festmetern Schadholz, die es aus dem Wald zu räumen gilt,
       rief sie fröhlich in den Raum: „Sie haben ein Problem, wir sind die
       Lösung.“
       
       Mit ihrem peinlichen Werbeauftritt traf die Verbandsvertreterin ungewollt
       den Punkt: dass die Forsttechniker, also die Firmen, die das schadhafte
       Holz aus dem Wald holen, nicht die Lösung sind. Sondern dass sie ganz im
       Gegenteil nicht einmal eine Ahnung haben davon, was die Lösung sein könnte.
       Genauso wenig wie die Waldbesitzer:innen, Förster:innen,
       Forstwissenschaftler:innen und Umweltschützer:innen – exakt niemand weiß
       derzeit, wie es weitergehen soll mit und im Wald. Wie unter einem Brennglas
       zeigen sich dort die Zielkonflikte unserer Industrienation, die an der
       Startlinie steht, um den Marathon anzutreten, den eine sozialökologische
       Transformation bedeutet – oder auch nicht. Denn dass die Bundesrepublik
       wirklich losläuft, ist ja noch keineswegs ausgemacht.
       
       Im Wald also zeigen sich Zielkonflikte zwischen [3][Artenschutz und
       Klimaschutz]; zwischen dem Ersatz fossiler Rohstoffe durch erneuerbare;
       zwischen privatem Unternehmertum und den Interessen der Allgemeinheit. Im
       Einzelnen: Das Artensterben gebietet es, so viel Wald wie möglich einer
       natürlichen Entwicklung zu überlassen und nicht zu nutzen. Dem Klima hilft
       das nicht. Wälder speichern dann am meisten Kohlenstoff, wenn sie als
       Laubmischwälder naturnah bewirtschaftet und nicht stillgelegt werden. Wer
       weniger fossile Rohstoffe nutzen will – Öl, Kohle, mit viel Energie und auf
       Kosten der Landschaft gewonnene Erze –, muss auf nachwachsende Rohstoffe
       umsteigen.
       
       ## Die Allgemeinheit hat ein Mitspracherecht
       
       Holz gilt als wichtigstes ökologisches Baumaterial der Zukunft. Wenn wir
       unseren Holzbedarf nicht weiter aus den nordischen Nadel-Urwäldern decken
       wollen, müssen wir eigene Bäume nutzen. Nicht zuletzt haben Inhaber
       privater Forstbetriebe ihre wirtschaftliche Existenz an den Forst
       gekoppelt. Sie stecken ihr Geld, ihre Arbeitskraft und Lebenszeit in den
       Forst – und leiten daraus verständlicherweise Rechte ab. Sie wollen
       entscheiden, welche Bäume im Wald wachsen oder welche Maschinen darin
       eingesetzt werden sollen.
       
       Andererseits hängt die Existenz und das Wohlbefinden aller an intakten
       Wäldern, die Wasser filtern und speichern, als Kohlenstoff-Senke dienen und
       artenreicher Lebensraum sind. Weil Wälder so existenziell wichtig sind, hat
       die Allgemeinheit einen Anspruch auf Mitsprache – vor allem, wenn sie den
       Waldbesitzern mit Steuergeld unter die Arme greift.
       
       Ergo ist im deutschen Wald derzeit nur eines klar: Die alten Gewissheiten
       tragen nicht mehr. Es sterben nicht nur die von Umweltschützern
       kritisierten, auf schnelle Gewinne getrimmten Fichtenplantagen. Auch
       naturnahe Buchenbestände hat es erwischt. Andererseits gehen auch die
       angeblich auf rationaler Betriebswirtschaft beruhenden Rechnungen der
       konventionellen Forstbetriebe nicht auf.
       
       Brutal haben die überwiegend konservativen Forstleute gelernt, dass der
       Klimawandel kein Thema hysterischer Stadtkinder ist. Er hat mit Macht vor
       ihrer eigenen Haustür eingeschlagen. Wenn die Mikrofone aus sind, ist das
       Entsetzen von Waldbesitzern und Förstern auch mit Unions-Parteibuch über
       das mutlose Klimapaket der Bundesregierung groß.
       
       ## Forstleute gegen Umweltschützer
       
       Wenn alte Antworten nicht mehr tragen, und nicht nur der Weg, sondern auch
       das Ziel unklar ist, dann schlägt die Stunde des hierarchiefreien
       Diskurses. Dann kann die plurale Gesellschaft zeigen, was sie kann. Nur der
       klug organisierte Austausch von Argumenten möglichst vieler Beteiligter und
       die Abwägung von Interessen führen zu guten Lösungen.
       
       Allerdings: Der deutsche Forst ist alles andere als ein hierarchiefreier
       Raum, die Akteure sprechen nicht auf der berühmten Augenhöhe. Bisweilen
       gerieren sich Waldbesitzer und Forstleute als Opfer der den Diskurs
       beherrschenden Umweltschützer. Das ist natürlich Unsinn. Geld,
       Entscheidungshoheiten und der Zugang zur Macht liegen mehrheitlich bei
       denen, die besitzen. Dafür steht das Agrarministerium, das sich bislang
       betonfest auf Seiten der Industrie verortet hat und jegliches Ansinnen
       einer ökologischen Erneuerung konsequent abschmettert.
       
       Die CDU-Ministerin Julia Klöckner hat am Mittwoch auf ihrem Waldgipfel
       dennoch einen starken Auftritt hingelegt und für den Augenblick glaubwürdig
       einen echten, offenen Dialog zwischen Forstwirtschaft und Umweltbewegung
       gefordert. Ob dieser so notwendige Dialog gelingt, wird wesentlich davon
       abhängen, ob es Klöckner schafft, ihr eigenes Haus zu öffnen. Es glaubhaft
       zu einem Makler verschiedener Interessen zu machen und es den Argumenten
       der Natur- und Umweltseite zu öffnen. Das Agrarministerium als Gegenspieler
       des Umweltministeriums – der Zustand des Waldes zeigt, dass diese
       Polarisierung in Zukunft nicht länger haltbar ist.
       
       26 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Waldgipfel-von-Julia-Kloeckner/!5625154
   DIR [2] /Klimawandel-und-Waldsterben/!5622609
   DIR [3] /Klimawandel-und-Waldsterben/!5608581
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Forstwirtschaft
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Umweltschutz
   DIR Waldsterben
   DIR Julia Klöckner
   DIR Ökosysteme
   DIR Maja Lunde
   DIR Umweltschutz
   DIR Wald-Gipel
   DIR Forstwirtschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Maja Lunde über ihren neuen Roman: „Vieles ist instinktgetrieben“
       
       Die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde veröffentlicht in diesen Tagen
       ihren neuen Roman „Die Letzten ihrer Art“. Wie blickt sie in die Zukunft?
       
   DIR Regierungsberater über Klimaschutz: „Wenn, dann richtig“
       
       Der Regierungsberater Christian Calliess warnt vor Klima-Symbolpolitik. Er
       plädiert für ein Klimagesetz und scharfe Kontrollen durch Gerichte.
       
   DIR Waldgipfel von Julia Klöckner: Welche Zukunft hat der Wald?
       
       Julia Klöckner lädt zum Waldgipfel. Neben akuter Krisenbewältigung geht es
       um die Frage, wie es mit den Forsten weitergeht.
       
   DIR Forstwissenschaftler über Waldbau: „Man muss das Risiko streuen“
       
       Der Forstwissenschaftler Jürgen Bauhus erklärt, warum guter Waldbau auch
       Armut bekämpft. Außerdem sei Eukalyptus besser als sein Ruf.