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       # taz.de -- Unterwegs im 13. Pornfilmfestival Berlin: Kuscheln und Quälen
       
       > Filme über sexuelle Spielarten jenseits des Penis-fickt-Loch-Schemas
       > dominierten das Programm des Pornfilmfestivals Berlin 2018.
       
   IMG Bild: Die Performerin und Sexarbeiterin Sady Lune (re.) und ihr Schützling im Film „As you whish my Lady“
       
       BERLIN taz | Beginnen wir mit einer Sequenz: Eine junge schwarze Frau sitzt
       in einem Pizza-Laden, sie ist verabredet. Aus der Off-Erzählung erfahren
       wir, sie hat ein Date mit einem unbekannten Typen. Doch der erscheint
       nicht. Stattdessen sendet er ihr ein Video aufs Smartphone – er hat sie
       gefilmt, wie sie da gelangweilt im Restaurant wartet. Panisch verlässt sie
       den Laden, eilt zu ihrem Auto, um sich in Sicherheit zu bringen. Kaum hat
       sie die Wagentür geschlossen, legt sich eine Hand von hinten mit einem Tuch
       um ihren Mund und Nase. Knock-out. Am nächsten Morgen wacht sie in einem
       baufälligen Keller wieder auf, nackt und gefesselt, an ihrem Hals kitzelt
       die Klinge eines Messers.
       
       Im Kurzfilm „Sexiigur 1“ verhandeln der US-Filmemacher Meankat und seine
       Darstellerin, die Performerin Zohara404, binnen 15 Minuten Lauflänge und
       mit Motiven des Horrorfilmgenres eine eher irritierende
       Rollenspielfantasie: Entführung und Vergewaltigung. Die Szene im Keller,
       zunächst in eine bedrohliche Stimmung getaucht, wird sich rasch verändern,
       die Fesseln fallen, das Messer auch. War der Blowjob noch vorgeblich
       erzwungen, nimmt sie ein paar Schnitte später lustvoll auf dem Penis ihres
       maskierten Entführers Platz – und wird einen Moment später das am Boden
       liegende Messer ergreifen, zustechen und reichlich Filmblut sprudeln
       lassen. Part of the game.
       
       Zu sehen war „Sexiigur 1“ als Teil der Kurzfilmrolle BDSM-Porn beim
       Pornfilmfestival Berlin 2018, welches vom 23. bis 28.10.2018 im Kreuzberger
       Kino Moviemento über die Bühne ging. Seit 13 Jahren unternimmt das Festival
       nun schon Erkundungen und Erörterungen der endlosen Welten menschlicher
       Sexualität. Dabei sind die filmischen Formen mindestens so vielgestaltig
       wie die sexuellen Spielarten, Fetische und Begehrensfragen, welche mehr
       oder minder explizit auf der Leinwand verhandelt werden.
       
       ## Offenheit, Leidensfähigkeit und sexpositive Neugierde notwendig
       
       Es gehört zu den großen Qualitäten dieses Festivals, dass seinem
       Kurator:innen-Team Berührungsängste in beinahe jeglicher Form fremd sind.
       Was sich inzwischen (leider) auch in der schieren Masse an gezeigten Filmen
       und Einzelprogrammen ausdrückt. Folglich ist das Publikum gut beraten, eine
       gewisse Offenheit, Unerschrockenheit, Leidensfähigkeit und unbedingte
       sexpositive Neugierde mitzubringen. Vor allem aber Mann darf sich vom
       Begriff Pornfilmfestival nicht irreleiten lassen: Wichsvorlagen a la
       Pornhub gehören dezidiert nicht zum Programm.
       
       Bondage und Sadomasochismus, Dominanz und Unterwerfung, Fetische und
       Rollenspiele sind traditionell Schwerpunkte im Programm des Berliner
       Pornfilmfestivals, doch im Festivaljahrgang 2018 stachen die filmischen
       Auseinandersetzungen mit den sexuellen Reizbarkeiten jenseits eines
       Phallus-penetriert-Loch-Schemas besonders hervor. Auffällig war dabei das
       Interesse an sexuellen Vergnügen in den ausdrücklichen Grenzbereichen des
       gesellschaftlich gemeinhin noch Gutierbaren.
       
       So lässt etwa der italienische Beitrag „Ki è my papino?“ – nach einer
       vorangestellten Trigger-Warnung – eine veritable familiäre
       Missbrauchsfanatsie Realität werden, wenn „Papa“ ins schreiend bunte
       Mädchenzimmer eintritt und der „Tochter“ zeigt, wie das mit dem Blowjob
       geht, wie sie sich mit dem Masturbator befriedigen kann und wie sie beim
       Sex „mit den Jungs“ das Kondom richtig anlegt. Diese acht Minuten kurze und
       reichlich trashige Irritation – zu sehen in der Kurzfilmrolle BDSM Porn
       Shorts – wird am Schluss wiederum interessant gewendet, wenn das sexuelle
       Spiel Mittels Safe Word „Lasagne“ ein Ende findet, die „Tochter“ den „Papa“
       bezahlt und er sich rasch verabschiedet, denn der nächste Kunde wartet
       schon – auf eine Kuscheleinheit.
       
       ## Könnte Waterboarding eine Form des Kuschelns sein?
       
       Kuscheln ist eine Möglichkeit sich gegenseitig Nähe und Geborgenheit zu
       vermitteln. Wenn nun aber eine Hand einen Kopf grob an den Haaren packt und
       mehrere Sekunden lang in einen Eimer Wasser drückt, könnte man dies nicht
       auch – und ausschließlich im BDSM-Kontext – als eine Art des Kuschelns
       lesen? In der Berliner Produktion „As You Wish My Lady“, eine visuell
       äußerst ästhetisch inszenierte Studie sexueller Devianzen in Schwarzweiß
       und auch Teil der Kurzfilmrolle BDSM Porn Shorts, erleben wir eine solche
       Waterboarding-Szene.
       
       Die Sexarbeiterin, Performerin und Autorin Sadie Lune gibt in dieser
       Kooperation mit der Filmemacherin und Fotografin Jo Pollux die betörende
       Kerkermeisterin. Ihre Sklav:innen aller Geschlechter warten in einem
       düsteren Keller auf ihre jeweils ganz eigenen Torturen. Darunter eben auch
       Atemkontrolle durch simuliertes Ertränken – Waterboarding.
       
       Wie kann diese Spielart des BDSM überhaupt funktionieren? Kein Zweifel,
       ohne absolutes Einvernehmen ist das ausgeschlossen. Doch es braucht, wie
       sich in „As You Wish My Lady“ eindringlich nachvollziehen lässt, noch mehr:
       in einer Session müssen die:der Dominierende und die:der Unterworfene durch
       ein intensives Band des Vertrauens und der Geborgenheit verbunden sein.
       
       Indes, fürs Waterboarding braucht es keinen finsteren Kerker, wie sich im
       französischen Beitrag „La Cuisine“ erweist. Die Küche eignet sich genauso
       gut. Die Filmemacherin Carmina beobachtet in „La Cuisine“, Teil des
       Kurzfilmprogramms Female Porn Shorts, wie ein Hetero-Paar, er in Strapsen,
       sie nackt, BDSM-Fantasien zwischen Esstisch und Spülbecken auslebt.
       
       ## Lesbischer Sex ist überall
       
       Dabei kommt neben dem Wasserhahn fast alles zum alles zum Einsatz was ein
       Küchenschrank hergeben kann – inklusive einem Entsafter als Dildo und
       Messern, die über die Haut kratzen. Mutet das sexuelle Spiel des Paares auf
       den ersten Blick reichlich heftig und grenzüberschreitend an, sind in „La
       Cuisine“ doch stets auch Verspieltheit, Vertrauen und Liebe deutlich
       spürbar.
       
       Die Küche, jene nicht nur sinnbildliche Heimstätte der Unterdrückung von
       Frauen seit Ewigkeiten, ist auch in „Second Shutter“, dem zweiten Teil
       einer filmischen Trilogie der Berliner Filmemacherin Goodyn Green (Teil 1
       der Trilogie lief 2014 im Festival), ein Schauplatz sexueller Freuden. Aber
       dieser Reigen lesbischer Sexualitäten beschränkt sich nicht auf Sex in den
       eigenen vier Wänden.
       
       Ob auf der Rückbank eines Autos oder im Wald – lesbischer Sex hat überall
       Platz, lesbischer Sex ist überall. Und wie schon im Vorgänger „Shutter“,
       beweist die Filmemacherin auch in „Second Shutter“ ihr Gespür für
       atmosphärisch dichte Bilder. Allerdings, wenn die Sonne dann noch die
       Körper in magisches Licht taucht, wird der Grad zwischen Schönheit und
       Kitsch arg schmal.
       
       ## Mein Metzger und ich
       
       „Du darfst nicht zu freundlich sein mit deinem Metzger. Wenn er dich liebt,
       dann kann er dich nicht essen.“ In „Protokolle“, einer dokumentarischen
       Arbeit des Filmemachers und Festivalstammgasts Jan Soldat und zu sehen in
       der Kurzfilmrolle Dark Visions Porn Shorts, berichten Männer über ihr
       sexuelles Verlangen verspeist zu werden.
       
       Die Männer selbst sehen wir nicht, wir hören was Jan Soldat in Gesprächen
       mit den Männern protokolliert hat. Deren nur insgeheim gehegter und
       trotzdem vielleicht sehnlichster sexueller Wunsch es ist gegessen zu
       werden. Vor der Kamera sitzen Schauspieler welche diese Protokolle
       vortragen. Ihre Köpfe können wir nur in Umrissen erkennen, da Jan Soldat
       ihre Gesichter durch die Ausleuchtung der Szenerie zusätzlich unkenntlich
       macht.
       
       So sind wir auf das zurückgeworfen, was die Tonspur mitteilt. Wir hören von
       Männern, die ganz normale Leben führen, verheiratet sind, Kinder haben. Die
       sich aber auch als Kinder schon seltsam hingezogen fühlten zum Gedanken des
       Gegessenwerdens. Sie berichten über ihre Kämpfe mit ihren Fantasien, über
       Rollenspiele von Schlachtvieh und Schlachter, bei welchen sie ihre
       bisexuellen Neigungen ausleben können, und über die Ängste vor dem Moment
       des Geschlachtetwerdens. Denn dann erfüllt sich ihr Verlangen und zugleich
       verlieren sie ihr Leben.
       
       Andererseits, so stellt es sich einer der Protagonisten vor, würde er dann
       auch eine neue Form des Daseins erlangen, denn der Geschmack seines
       Fleisches würde seinem Schlachter bis zu dessen Lebensende in Erinnerung
       bleiben. Jan Soldat gelingt mit „Protokolle“ eine äußerst verstörende und
       zugleich formal strenge wie durchdachte Erkundung sexueller Abgründe. Und
       einmal mehr – Jan Soldats Oevre umfasst inzwischen mehr als zwei Dutzend
       kurze bis mittellange dokumentarische Arbeiten – erweist er sich hier als
       unerschrockener und vorurteilsfrei agierender Filmemacher, der uns einlädt
       die Gedankenwelten seiner Protagonist:innen mit ehrlichem Interesse zu
       erkunden.
       
       ## Staat vs. Huren
       
       „Wir Huren sind Arschlöcher gewöhnt – in der Politik, am Telefon, per
       E-Mail, auf der Straße, in der Familie, Arschlöcher begegnen uns überall.“
       In ihrem dokumentarischen Kurzfilm „Empower“ berichtet die französische
       Sexarbeiterin Mylène Juste über die Licht- und Schattenseiten ihres Berufs.
       „Ich mag es nicht gefilmt zu werden“, erklärt sie, weshalb wir ihre Stimme
       nur aus dem Off hören. Auf der Leinwand sehen wir eine jener Straßen in
       Paris, die dem Straßenstrich vorbehalten sind – oder vielmehr vorbehalten
       waren. Denn in Frankreich hat sich die Situation für Sexarbeiter:innen
       deutlich verschlechtert, seit der französische Gesetzgeber 2016 die
       Einführung des sogenannten „Nordischen Modells“ verabschiedete.
       
       Unter dem Vorwand, Frauen vor Ausbeutung und Menschenhandel schützen zu
       wollen, werden bei dieser staatlichen Vorgehensweise die Kunden der
       Sexarbeiter:innen kriminalisiert. Sex zu kaufen ist eine Straftat, ganz
       egal unter welchen Umständen Sexarbeiter:innen ihrer Tätigkeit nachgehen
       müssen oder möchten. In der Realität hat dieses Gesetz vor allem zur Folge,
       dass sexarbeitende Menschen (meist Frauen) in den Untergrund gedrängt
       werden, um die Kunden vor dem Zugriff der Polizei zu schützen. Es braucht
       wenig Fantasie um zu begreifen, dass dies für zwangsprostituierte Frauen
       eine weitere Verschlechterung ihrer sowieso schon unhaltbaren Situation
       darstellt. „Die Kriminalisierung der Freier ist ein Angriff auf uns und uns
       nicht als Arbeiter:innen anzuerkennen ist ein Akt der Gewalt“, deklamiert
       Mylène Juste.
       
       Über den Kampf gegen die Einführung des Gesetzes ist sie zur hörbar
       wütenden politischen Aktivistin geworden. Sie klagt eine Politik an, die
       glaubt, nach eigenem Gutdünken darüber entscheiden zu können, was Frauen
       mit ihrem Körper tun dürfen.
       
       „Empower“ lief als Vorfilm der Dokumentation „Everything is Better Than A
       Hooker“. In der von Arte koproduzierten Arbeit recherchiert die
       französische Filmemacherin Ovidie den Fall von Eva-Marree Smith Kullander.
       Am 11. Juli 2013 wurde die 27-jährige Smith Kullander von ihrem Ex-Mann mit
       32 Messerstichen eines Brotmessers ermordet – vor den Augen ihrer kleinen
       Kinder und in den Räumen der schwedischen Fürsorgebehörde.
       
       Vier Jahre zuvor hatte sich Smith Kullander von diesem gewalttätigen und
       deshalb bereits vorbestraften Mann getrennt, war mit ihren Kindern nach
       Stockholm gezogen und begann als Escort zu arbeiten. Ihr Job in der
       Sexarbeit, obwohl sie ihn strikt von ihrem privaten Umfeld abschirmte,
       veranlasste die Behörden 2009, Eva-Marree die Kinder wegzunehmen und das
       alleinige Sorgerecht ihrem Ex-Mann zu übertragen.
       
       ## Schwedens Repression gegen Sexarbeiter:innen
       
       Schweden ist das Mutterland des „Nordischen Modells“ und wird als
       Paradebeispiel für gelebte Gleichberechtigung gehandelt. Seit 1998 ist dort
       der Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisiert. Doch wie Ovidie im
       Verlauf ihrer 56-minütigen Recherche herausarbeitet, sind es auch in
       Schweden vor allem die sexarbeitenden Frauen die für ihren vorgeblichen
       Schutz einen hohen Preis zahlen müssen.
       
       Im Gespräch mit Eva-Marees Eltern, mit Anwälten und Aktivist:innen
       skizziert Ovidie nüchtern die staatliche Repression gegen
       Sexarbeiter:innen. Das Frauen selbstbestimmt der Prostitution nachgehen
       könnten scheint für schwedische Behörden offensichtlich nicht vorstellbar.
       Dass Sexarbeiter:innen gleichzeitig auch noch Mütter sein könnten –
       ebensowenig. Drei Jahren nach dem Kindesentzug und einem enervierenden
       Rechtsstreit, ermöglichte die Fürsorge Eva-Marree Smith Kullander
       schließlich ein Treffen mit ihrem Sohn in den Räumen der Behörde und in
       Gegenwart ihres Ex-Mannes. Es sollte das letzte Mal sein, dass die Mutter
       ihr Kind sieht.
       
       Ovidies Dokumentation unterstreicht den inzwischen etablierten Ruf des
       Pornfilmfestivals als Plattform für die Emanzipationskämpfe von
       Sexarbeiter:innen. Aber mehr noch markiert er Ovidie unmissverständlich als
       Filmemacherin mit aktivistischen Furor, was nicht immer gefallen muss.
       Allerdings erweist sich das Handeln des schwedischen Staates – im
       speziellen Fall Smith Kullander und allgemein in Fragen der Sexarbeit – als
       so dermaßen abscheulich, dass neutrale Zurückhaltung auch nicht wirklich
       angebracht wäre. „Everything is Better Than A Hooker“ ist eine
       schockierende und wütend machende Schilderung staatlicher Repression gegen
       Frauen die auf ihr Recht am eigenen Körper bestehen.
       
       ## Dauervögelnde Sprösslinge des Bürgertums
       
       Im Pornfilmfestival Berlin an den desolaten Zustand des prüden und
       kunstfeindlichen deutschen Kinomarkts erinnert zu werden kommt selten vor.
       Das Schicksal des Films „The Smell Of Us“ war solch ein seltener Moment:
       2014 feierte der (zweitjüngste) Film der US-Regielegende Larry Clark
       („Kids“, „Ken Park“) seine Weltpremiere in Venedig.
       
       Es sollte bis 2016 dauern, ehe ein deutscher Verleih die Auswertungsrechte
       für Deutschland erwarb. Doch der Film landete in keinem deutschen Kino. Er
       wurde im Frühjahr 2018(!) auf den im Siechtum befindlichen DVD-Markt
       verklappt. Es ist dem Engagement der Kurator:innen des Pornfilmfestivals zu
       verdanken, dass „The Smell Of Us“ nun im Programm zu sehen war und damit
       vermutlich erstmals in einem Kino hierzulande.
       
       Leider wurde dieses Engagement kaum belohnt. Denn Larry Clark gelingt mit
       „The Smell Of Us“, einer deprimierenden Studie lebensmüder, permanent
       skatender, dauerbetrunkener und dauervögelnder Sprösslinge des besseren
       Pariser Bürgertums, nurmehr ein schwaches Echo seines frühen Meisterwerks
       „Kids“. Trotzdem war es richtig, um die Aufführung dieses Films zu kämpfen,
       bietet doch selbst ein schwacher Larry Clark immer noch mehr Beschäftigung
       für den Kopf als vieles was derzeit in deutschen Kinos zu sehen ist.
       
       ## Quantität contra Qualität
       
       190 Filme aller Längen wurden zwischen dem 23. und 28. Oktober gezeigt. Zum
       Vergleich, 2017 verzeichnete das Programm „nur“ 143 Werke, 2016 waren es
       141 Filme. Quantitativ sind damit fühlbar die Grenzen des auch räumlich
       Möglichen erreicht. Was problematisch ist vor dem Hintergrund einer sehr
       durchwachsenen Qualität der Langspielfilme dieses Festivaljahrgangs. So mag
       der kanadische Regisseur Bruce LaBruce zwar konstitutiv für ein Event wie
       das Pornfilmfestivals erscheinen, doch sein narrativ leidlich
       aufgehübschter Episodenfilm „It is not the Pornographer that is perverse“,
       produziert vom schwulen US-Pornolabel Cockyboys, reanimiert lediglich
       altbekannte und inzwischen reichlich uninteressante Sujets des
       Filmemachers.
       
       Als ebenso verzichtbar erwies sich der als Eröffnungsfilm annoncierte
       argentinische Beitrag „La Hijas Del Fuego“, eine 115-minütige Tour de Force
       (für die Geduldsfäden des Publikums), die nach der filmischen Rückeroberung
       weiblicher Lust und Körper vor der Weite der argentinischen Landschaft
       trachtete. Jedoch nichts zustande brachte außer dem Eindruck, dass zu
       allererst eine schlüssige Narration hätte erobert werden müssen.
       
       Ähnlich ärgerlich war der Abschlussfilm des Festivals, die deutsche
       Dokumentation „The Artist & The Pervert“. Darin geben der Komponist Georg
       Friedrich Haas und seine Frau, die Autorin, Performerin und BDSM-Trainerin
       Mollena Williams, Einblick in ihre als öffentliche BDSM-Beziehung gelebte
       Ehe. Das Beste was sich über dieses visuelle und tontechnische Fiasko sagen
       ließe wäre, dass es den beiden hochgradig spannenden Protagonisten nicht
       übermäßig im Weg steht.
       
       ## Rachefabel im #metoo-Zeitalter
       
       Die Großstadterzählung „Lisa“ markierte indes eines der wenigen
       Spielfilm-Highlights im diesjährigen Programm. Die titelgebende Lisa, eine
       junge Frau aus der Provinz, lässt sich in Berlin von Partys, Drogen und
       Rausch treiben bis sie ein Typ mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt.
       Lisa gelingt die Flucht, doch anschließend führt sie ihr Weg nicht zur
       Polizei oder irgendwo hin wo sie Hilfe finden könnte. Sie kehrt zurück zum
       Tatort – und lädt ihren Vergewaltiger zu sich nach hause und zum Abendessen
       ein.
       
       „Lisa“ erweist sich als im besten Sinne abgründiger Film. Mit Null Budget
       realisiert, dafür atemberaubend mutig erzählt, inszeniert der Berliner
       Filmemacher Mario Schollenberger eine Rachefabel im #metoo-Zeitalter. Für
       Opfernarrative hat diese Lisa keine Zeit, sie sinnt auf Revange, sie ist
       ihre eigene Richterin und Vollstreckerin. Auch wenn dies bedeutet, dass sie
       dafür die Schlafcouch zum Kerker umfunktionieren und den Gefangen selber
       füttern und wickeln muss.
       
       Schollenberger gelingt es, seinen Film virtuos zwischen hell und dunkel,
       zwischen Leichtigkeit und Beklemmung auszubalancieren. Kein
       wohl-temperiertes und schon gar kein bedeutungsschweres Erzählen, sondern
       emotional stets klug und treffend. Lisas Selbstermächtigung ist für sie
       Ausweg und Ausweglosigkeit zugleich, Befreiung und Zumutung. Der finale
       Sieg über ihren Peiniger, er wird für sie nicht ohne einen hohen Preis zu
       haben sein. Doch sie ist bereit, diesen zu bezahlen. Grandios!
       
       ## Die Legende schwuler Bilderwelten
       
       Andy Warhol fotografierte seinen Arsch, für Robert Mapplethorpe und Tom of
       Finland war er Inspiration und Muse – Peter Berlin. Seine visuellen
       Markenzeichen: drahtig-muskulöser Körper, strohblonder Pagenschnitt und
       selbstverständlich eine unübersehbare Beule in zumeist betont eng sitzenden
       Hosen.
       
       Seine Bilder sind heute Ikonen der erotischen Fotografie – auch weit über
       das schwule Metier hinaus. Doch wer ist dieser Peter Berlin (er lebt
       nachwievor in den USA) und was macht(e) seinen Reiz aus? Das
       Pornfilmfestival 2018 bot mit der Retrospektive Anlass für eigene
       Recherchen in den Bewegtbildern von Peter Berlin. Schnell wird deutlich:
       Peter Berlin war kein austauschbares Pin-Up zur schnellen Triebabfuhr. Er,
       der gelernte Fotograf, verstand es die eigenen Bilder bis ins kleinste
       Detail zu kontrollieren. Und seinen Körper dabei wirkmächtig zu
       inszenieren.
       
       1942 in Polen geboren und in Berlin aufgewachsen, wanderte Armin Hagen
       Freiherr von Hoyningen-Huene Anfang der 1970er in die USA aus und entwarf
       alsbald die Kunstfigur Peter Berlin. Berlins Oeuvre umfasst zwei
       Porno-Spielfilme und vier pornographische Kurzfilme, alle zwischen 1972 und
       1975 realisiert, allesamt Teil der Retrospektive. Dieses überschaubare und
       aus heutiger Sicht phasenweise etwas drollige Werk reichte
       erstaunlicherweise aus, um ihn zum Säulenheiligen schwuler Bilderwelten
       werden zu lassen.
       
       Doch wohl möglich lag Peter Berlins Erfolg vor allem in der Einzigartigkeit
       des Moments begründet, zu welchem er die Bühne betrat: Anfang der 1970er
       war er so jung, schön und viril wie die schwule Community (der USA) selbst.
       Lust und Sex explodierten, kaum das mit den Stonewall Riots und der
       Hippie-Bewegung die Repression des Sexuellen zurückgedrängt war und das
       Golden Age of Porn abertausende Menschen in die Kinos zog.
       
       ## Aggressive Aufforderung zum Begehren
       
       In jene Zeit platze dieser Typ aus dem fernen, etwas exotisch anmutenden
       Berlin und wurde vielleicht zu so etwas wie dem Spiegelbild des schwulen
       Amerikas. Peter Berlins Filme transportieren eine fast schon aggressive
       Aufforderung zum Begehren und zeugen von einer immensen Lust an der
       sexuellen Ausstellung des Körpers. Dies muss enorm räsoniert haben in einer
       Community, deren (sexuelle) Möglichkeiten endlich grenzenlos schienen.
       
       Und dann passierte, was aus dem Rising Star die Legende werden ließ: Peter
       Berlin war plötzlich weg. Nach 1975 verschwand er komplett aus der
       Öffentlichkeit. Keine Filme mehr, nichts. Warum? Empfand er sich nicht mehr
       als passend für die visuellen Codes, die er selbst gesetzt hatte? Hatte er
       den sexuellen Kick des Pornodrehens einfach abgehakt? An Geld schien er,
       wie er bekundete, nie sonderlich interessiert gewesen zu sein. Das
       Interesse an der Kommunikation über Bewegtbild übte da wohl schon eine
       größer Anziehungskraft aus, wie die ebenfalls in der Retrospektive gezeigte
       Dokumentation „The Peter Berlin Chronicles – Foursome“ veranschaulichte,
       die ausschließlich auf den zahlreichen Videotagebüchern von Peter Berlin
       basiert.
       
       Möglicherweise war es eine Mischung aus all dem. Fakt ist, dass ihn die
       AIDS-Krise und der Verlust vieler Freunde in tiefe Depressionen stürzten
       und ihn zum Eremiten werden ließen. Erst durch die dokumentarischen
       Arbeiten des US-Filmemachers Jim Tushinski („That Man: Peter Berlin“, USA
       2005 und „The Peter Berlin Chronicles – Foursome“, USA 2018) betrat auch
       Peter Berlin wieder für einen Augenblick die Bühne. Aber nur, um den Status
       der Legende durch den Status des Mysteriums auszutauschen.
       
       5 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
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   DIR Netzwerkveranstaltung der Pornoindustrie: Fetisch-Party ohne die EU
       
       Erstmals sollte ein EU-Vertreter offiziell mit der Pornoindustrie sprechen.
       Seine Absage verstärkt ihr Gefühl mangelnden Respekts seitens der Politik.
       
   DIR Berliner Kino in Gefahr: Großer Einsatz fürs Kino
       
       Das Moviemento in Kreuzberg ist bedroht, ein Investor will die Räume
       verkaufen. Nun sammeln die Betreiber Geld, um das Kino selbst kaufen zu
       können.
       
   DIR Pornfilmfestival Berlin: Politischer Porno
       
       Das Pornfilmfestival Berlin ermöglicht schon zum 14. Mal queerfeministische
       Perspektiven auf Fragen von Identität, Moral und Körpernormen.
       
   DIR Gründerinnen des „PorYes“-Festivals: „Das Ziel war immer: mittenrein“
       
       Der feministische PorYes-Award wird zehn Jahre alt. Sexistische Stereotypen
       zu beenden dauere jedoch Generationen, sagen die Gründerinnen.
       
   DIR Queerfeministischer PorYes-Award: Bitte mehr Pornokompetenz!
       
       Sexuelle Bildung in Schulen beschränkt sich oft auf biologische Aspekte.
       Antworten suchen Jugendliche im Netz und stoßen auf billige Pornos.
       
   DIR Weg vom Blümchensex: Kuscheln ist Power, aber …
       
       Blümchensex funktioniert ohne Kneifen, Beißen und Kitzeln. Das ist okay. Es
       ist auch okay, wenn es einen nach mehr sehnt als nur nach Zärtlichkeit.
       
   DIR Kinofilm „Idioten der Familie“: Geschwister im Spinnennetz
       
       Michael Klier zeigt Geschwister in alten Rollenmustern bei einem
       Familientreffen. Erzählt wird nicht melodramatisch, sondern präzise und
       zugleich beiläufig.
       
   DIR Pornfilmfestival Berlin 2017: Mondfrauen und erleuchtete Penisse
       
       Meerjunglesben spielen Poker, Donald Trump fickt Männer und Berlins Homos
       sind einsam. Ein Rundgang durch das 12. Pornfilmfestival.
       
   DIR Pornfilmfestival 2016 in Berlin: Anarchie, Titten und große Penisse
       
       Vergewaltigungen, Aids und Sex im Alter – auch diesmal ging es beim Berlin
       Festival nicht nur um Genuss, sondern ebenso um Aufklärung.
       
   DIR Pornfilmfestival Berlin 2014: Von Schwanzlesben und Sadistinnen
       
       In Kreuzberg feierte das Pornfilmfestival zum neunten Mal die Vielfalt der
       Geschlechter und des Sex jenseits von Wichsvorlagen.