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       # taz.de -- Goldene Zitronen im Konzert: Die BRD war gar nicht so funky
       
       > Es gibt keine Krise! Hamburgs Goldene Zitronen geben am 1. Mai im
       > Berliner Festsaal Kreuzberg ein unterhaltsames Konzert.
       
   IMG Bild: Von Sun Ra inspiriertes Gewand: Schorsch Kamerun und Co am Mittwoch in Berlin
       
       Es dauert bis zum fünften Lied an diesem Mittwochabend, da kann Schorsch
       Kamerun Entwarnung geben. In ein buntes, ornamentales Gewand gehüllt, eine
       weiße Klunkerkette um den Hals, steht der Sänger der Goldenen Zitronen auf
       der Bühne des Berliner Festsaals Kreuzberg, breitet die Arme aus, sodass es
       aussieht, als wolle er mitsamt seinem Hippieoutfit gleich abheben, und
       erklärt: „Keiner muss Angst haben, es gibt keine Krise. Die Goldies sind in
       Berlin am 1. Mai, es gibt keine Schwierigkeiten.“ Kurz darauf spielt die
       Band den aktuellen Song „Nützliche Katastrophen“, der von der stetigen
       Angst- und Panikmache und der Feindbildproduktion unserer Tage handelt.
       
       Tatsächlich, das Konzert der Goldenen Zitronen, das nicht besser terminiert
       sein könnte, wird zu einer gut eineinhalbstündigen Lockerungsübung. Bestens
       aufgelegt huscht die Band um Sänger Kamerun und Gitarrist Ted Gaier –
       übrigens allesamt in bunte Gewänder gehüllt – über die Bühne und ist
       sichtlich mit Spielfreude am Werk. Im mittleren Teil spielen sie viele
       Songs des großartigen neuen Albums „More Than A Feeling“, insgesamt ist es
       ein Mix aus Stücken der Bandgeschichte seit den frühen Neunzigern.
       
       Der Saal ist mit weit mehr als 1.000 Besucher_innen ausverkauft, man hat
       das Gefühl, als sei die halbe Hamburger und Berliner Musikszene zugegen.
       Wie bei den Zitronen oft gibt es lustiges bis albernes Geplänkel mit dem
       Publikum, Kamerun lässt gleich mal wissen, dass er „als Unterhaltungsprofi
       ein Gespür dafür hat, wenn ein gewisses Flair entsteht.“
       
       ## Gut gesetzt
       
       Die live als Sextett auftretenden Hamburger beginnen – noch mit
       Soundproblemen kämpfend – mit „Das bisschen Totschlag“ (1994), ihrem Song
       über die Pogrome der Nachwendezeit, der auch jetzt – nach Freital,
       Heidenau, Clausnitz, Bautzen und Chemnitz, um nur einige zu nennen – als
       eröffnendes Statement gut gesetzt ist. Auch deshalb, weil das neue Album
       „More Than A Feeling“ eine Art Standortbestimmung und linke Selbstbefragung
       nach der sogenannten Flüchtlingskrise ist; ein Album, das das ganze Elend
       der Fake-News-Wars und des Rechtspopulismus (sowie des Linkspopulismus)
       verhandelt. Über die Bühne flatternd, singt Kamerun über die Politik der
       Abschottung: „Baut doch eure Scheißmauern / gebt doch endlich zu, euch
       fällt sonst nichts mehr ein“.
       
       Bevor Gaier den Song „Heimsuchung“ spielt – ein Stück, das fragt, was das
       ‚populus‘ des Populismus eigentlich sein soll –, erzählt er die Geschichte,
       die dem Song zugrunde liegt: Ein Freund sei mal für ein paar Jahre im
       Ausland gewesen und habe, wieder zurückgekehrt, angemerkt, man „müsse doch
       wohl national fühlen dürfen“. Er habe versucht, sich mit diesem Song „in
       das Volk einzufühlen.“
       
       Erneutes Geplänkel mit Band und Publikum, alle sind sich einig, dass man
       weder „national fühlen“ noch „national fummeln“ wolle. Passenderweise
       schließt sich eine newwavy Version von „Wenn ich ein Turnschuh wär“ (2006)
       an, und so langsam bildet sich auch der erste Pogo, ein sehr peaciger Pogo,
       bei dem der 60-jährige Graubart neben Teens und Twens tanzt. Äußerst hübsch
       auch noch das neue Stück „Das war die BRD“ (Ansage Gaier: „Damals haben wir
       gegen einen Sozialstaat gekämpft, weil wir dachten, es gäb noch was
       Besseres“) mit seinen verspielten groovy Gitarren. So funky war die BRD
       ganz sicher nicht!
       
       ## Instrumententausch statt Fummelei
       
       Während Kamerun und Gaier es verstehen, das Publikum bei Laune zu halten –
       Unterhaltungsprofis eben –, ist es auch deren Mitmusikern zu verdanken,
       dass dies ein toller Konzertabend wird. Mense Reents, Stephan Rath, Enno
       Palucca und Thomas Wenzel tauschen fröhlich die Instrumente, die
       Rhythmusfraktion mit Schlagzeug, Congas, Schellenkränzen und sonstigem
       Gedöns leistet Großes, und die Synthesizer grätschen bei keiner Band so
       geil rein wie bei den Goldies. Ted Gaier holt zwischendurch auch mal die
       Laute raus, Sounds aus aller Welt fließen ein – eine undeutschere
       deutschsprachige Band als die Goldies ist kaum denkbar.
       
       Zur ersten Zugabe, „Bleib bei mir“, kommt Gastsängerin Sophia Kennedy in
       weißem Overall auf die Bühne, die im Herbst übrigens mit ihrem Projekt
       Shari Vari ein neues Album veröffentlichen wird. Zwei weitere Zugaben
       folgen, um 23.10 Uhr ist Schluss. Alles ist gut für den Moment, es gibt
       keine Krise.
       
       2 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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