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       # taz.de -- Sprecher des Presserats zum Journalismus: „Häufig ist es nur ein Gefühl“
       
       > Der Presserat wacht über die journalistische Ethik. 2018 erhielt er
       > wieder mehr Beschwerden. Sind die Leserinnen und Leser kritischer
       > geworden?
       
   IMG Bild: Der Wahrheit den nackten Hintern gezeigt: Rechtsextreme in Chemnitz
       
       taz am wochenende: Herr Protze, Beschwerden an den Presserat gab es 2018
       mehr als in den vergangenen Jahren, insgesamt über 2.000. Begrüßen Sie eine
       solche medienkritische Haltung?
       
       Manfred Protze: „Medienkritik“ ist ein ganz wesentliches Element der
       Glaubwürdigkeit. „Kritisch“ wird im populären Sprachgebrauch jedoch oft als
       „ablehnend“ verstanden.
       
       In Ihrem Jahresbericht ist von „Medienskepsis“ die Rede, auch bezüglich der
       Kontroverse über den Begriff „Hetzjagden“ im Zusammenhang mit
       [1][Ausschreitungen im vergangenen August in Chemnitz]. 
       
       Es mag sein, dass die Medien insgesamt skeptischer betrachtet werden – das
       kann Ausdruck von enttäuschten Erwartungen oder auch eines Verlusts an
       Glaubwürdigkeit sein. Hier lohnt es sich, zu schauen, welchen Anteil die
       Medien selbst an der Entwicklung hatten. Andererseits gibt es organisierte
       Kampagnen von Interessengruppen, die den Medien ein Image der
       „Unglaubwürdigkeit“ verpassen wollen. Die Konsumenten sollen auf andere
       Medien umschwenken, welche die Kritiker gegebenenfalls selbst produzieren.
       Die journalistischen Medien flächendeckend als „Lügenpresse“ zu bezeichnen,
       halte ich für nicht gerechtfertigt. Die Medien müssen jedoch auch eigene
       Schwächen reflektieren, die diesem Vorwurf Vorschub leisten.
       
       Im Jahresbericht fällt in diesem Zusammenhang immer wieder derselbe
       Begriff: „Glaubwürdigkeit“. Was heißt das für Sie? 
       
       Unterscheiden wir zwischen einer „strukturellen“ und einer „tatsächlichen
       Glaubwürdigkeit“: Unter „strukturelle Glaubwürdigkeit“ fällt, dass Medien
       öffentlich Rechenschaft von sich ablegen, verbindliche Regeln für
       ordentliche Arbeit und Produkte aufstellen und transparente Verfahren
       anwenden, um Fehler zu korrigieren oder zu vermeiden. Dafür gibt es etwa
       den Pressekodex als Regelwerk und den Presserat, der auf Antrag von Lesern
       und Leserinnen prüft, ob die Regeln verletzt wurden. Darüber hinaus
       arbeitet jeder einzelne journalistische Beitrag an der „tatsächlichen
       Glaubwürdigkeit“ mit, im positiven und im negativen Sinne. Die Konsumenten
       sind von vornherein nicht bösgläubig, sie vertrauen. Auch Fehler
       erschüttern das Vertrauen nicht, wenn die Presse offen damit umgeht, sie
       korrigiert oder sich entschuldigt. Erst durch manifeste Enttäuschungen und
       durch „Fehler unter den Teppich kehren“ entstehen Glaubwürdigkeitsprobleme.
       
       Warum glauben einige Medienkonsumenten nicht, dass in Chemnitz 2018
       „Hetzjagden“ stattgefunden haben? 
       
       Weil dort zwei unterschiedliche Definitionen von Glaubwürdigkeit eine Rolle
       spielen: Einerseits sind überprüfbare Tatsachen das Fundament der
       Glaubwürdigkeit eines Beitrags. Leser, die sich beim Presserat beschweren,
       stellen aber auch die Angemessenheit der verwendeten Begriffe infrage. Sie
       bestreiten nicht die Grundtatsachen, halten den Ausdruck jedoch für nicht
       angemessen.
       
       Tatsachen werden aber bisweilen auch infrage gestellt. 
       
       Der Presserat fordert in solchen Fällen die Beschwerdeführer auf, Tatsachen
       zu liefern, die einer angegriffenen Darstellung widersprechen. Es ist
       häufig nur eine Wahrnehmung, ein Gefühl, das der Behauptung der
       Falschberichterstattung zugrunde liegt. Und hieran scheitern bereits viele
       Beschwerden.
       
       Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz nennen Sie
       Migrationsbewegungen sowie Rechtspopulismus als Anhaltspunkte. Ist
       „Medienskepsis“ also nur ein zeitliches Phänomen, das wieder abklingen
       kann? 
       
       Ich bin kein Prophet. Das flächendeckende Abqualifizieren journalistischer
       Medien ist Teil politischer Kampagnen. Wann die Interessengruppen ihre
       Strategie ändern, ist schwer vorherzusagen. Über den Begriff „Lügenpresse“
       lässt sich aber bereits feststellen: der ist aus dem politischen
       Kampfwortschatz weitgehend verschwunden, kaum jemand spricht noch davon.
       
       Welchen Anteil haben neben organisierten Kampagnen soziale Medien? 
       
       Den Konsumenten gelingt es nicht immer, zwischen sozialen Medien und
       journalistischen Formaten zu unterscheiden. Die sozialen Medien besitzen im
       Gegensatz zu journalistischen Formaten keine ethische Bindung, beide treten
       jedoch als Wettbewerber auf. Was journalistische Medien aus ethischen
       Gründen nicht publizieren, hatte schon immer eine von Neugier gesteuerte
       Nachfrage. Diese Nachfrage bedienen die sozialen Medien ohne jede
       Verantwortung. Hieraus resultiert wiederum teilweise der Vorwurf
       „Lügenpresse“, da journalistische Medien ja einer Zensur unterlägen.
       
       Welche Auswirkungen können Betrugsfälle wie der des [2][„Spiegel“-Reporters
       Claas Relotius] in dieser Hinsicht entfalten? 
       
       Einerseits gibt es kein perfektes System. Auch die journalistischen Medien
       sind nicht fehlerfrei. Auch sie können Täuschungen zum Opfer fallen.
       Andererseits ist die Frage: Wer trägt Verantwortung für
       Falschberichterstattung? Der Presserat geht nicht von einzelnen Akteuren
       aus, sondern von der Gesamtverantwortung ganzer Medien. Wichtig ist: Welche
       Strukturen begünstigen solche Fehler und was unternehmen die Medien, um
       derartiges für die Zukunft zu vermeiden. Mit entsprechendem Talent ist es
       Hochstaplern schon immer gelungen, die Sicherungssysteme von Medien zu
       unterlaufen: Denken Sie an Konrad Kujaus Hitler-Tagebücher oder an Tom
       Kummer. Das sind Einzelereignisse. Entscheidend ist: Wenn so etwas
       passiert, kann man einer Erosion von Glaubwürdigkeit nur mit einer
       angemessenen Reaktion begegnen: Transparenz, Öffentlichkeit,
       Selbstreflexion.
       
       Vernachlässigen Medien ihre Sorgfaltspflicht in den letzten Jahren
       häufiger? 
       
       Wir können nicht sagen, dass die Glaubwürdigkeit der Presse in den letzten
       Jahren gesunken ist. Dafür gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte oder
       Daten. Dass einzelne Interessengruppen die Medien angreifen, sollten diese
       als Chance verstehen, um nach eigenen Schwachstellen zu suchen und sich
       selbstbewusst der Debatte zu stellen.
       
       Für das Jahr 2018 sind 2.038 Beschwerden beim Presserat eingegangen. Welche
       Zahl wünschen Sie sich für das Jahr 2019? 
       
       Ich wünsche mir eine sinkende Zahl – und gleichzeitig eine steigende. Eine
       sinkende, weil es weniger Arbeit machen würde, eine steigende als Ausdruck
       des Vertrauens in die Selbstregulierung der Presse. Der wachsende
       Bekanntheitsgrad des Presserats trägt aber auch dazu bei, dass die Zahlen
       langfristig gesehen steigen. Die Annahme, das habe etwas mit der
       Anfälligkeit der Presse für Fehler und Regelverstöße zu tun, ist
       spekulativ. Das lässt sich nicht aus den Zahlen ableiten. Fest steht aber:
       Der Bekanntheitsgrad des Presserats ist über die Jahre gestiegen, auch
       durch die Berichterstattung in den Medien selbst.
       
       15 Apr 2019
       
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   DIR Moritz Döring
       
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