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       # taz.de -- Inklusion im Kulturbetrieb: Theater nicht für alle
       
       > Menschen mit Behinderung haben nicht nur das Recht auf Teilhabe in der
       > Arbeitswelt, sondern auch in der Kultur. Das hat Deutschland
       > unterzeichnet.
       
   IMG Bild: Hier spielen Menschen mit und ohne Behinderung: Bremer Blaumeier Atelier
       
       Bremen taz | Vergessen wir Schulen, Unis und Berufe für einen kurzen
       Moment. Und reden wir noch mal über Inklusion. Denn auch wenn sich die
       heute von allen Seiten energisch geführte Debatte vor allem um
       gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben dreht, meint Inklusion ja noch
       viel mehr – nicht nur im Wörterbuch, sondern auch rechtlich. Akzeptiert und
       unterschrieben hat der deutsche Staat schließlich auch diesen Satz: „Die
       Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen,
       gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen“. Zugegeben,
       es ist erst der 30. Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention. Aber er hat
       es in sich.
       
       Ambitioniert ist diese Selbstverpflichtung, weil Kulturleben den Alltag, ja
       die Freizeit, aller meint. Und weil dieses offizielle Ja zur Inklusion,
       wenn man es ernst nimmt, tief in die unantastbare Sphäre der Kunst
       eindringt.
       
       An der Oberfläche ist die Sache noch einigermaßen klar. Aber selbst da ist
       noch viel zu tun: Barrierefreie Zugänge zum Theater sind so ein Beispiel.
       Heutzutage findet sich in der Regel irgendwo eine Rampe, über die
       Rollstuhlfahrer*innen ins Foyer kommen. Meist gibt es im Parkett dann auch
       einen Stellplatz neben den Sitzreihen, der einen halbwegs freien Blick auf
       die Bühne gewährt.
       
       Möglicherweise war auch die Theaterkasse bereit und sogar technisch in der
       Lage, eine Begleitperson daneben zu platzieren und ihr Rabatt einzuräumen.
       Und wenn es in der Pause dann auch noch einen Weg an die Bar gibt, hatten
       die Rollstuhlfahrer*innen großes Glück und würden dort im allerbesten Fall
       auch noch auf Blinde, Gehörlose und allerlei andere gleichberechtigt
       Teilnehmende treffen, deren Barrieren ebenfalls abgeschafft oder wenigsten
       ausreichend abgemildert wurden. Klar klappt das eher im großen Stadttheater
       als in den charmanten Kellerchen der Off-Szene – aber immerhin.
       
       ## Das Wie ist entscheidend
       
       Schwieriger wird es beim Geschehen auf der Bühne, bei den Inhalten und der
       Besetzung. Denn auch das ist ja Teilhabe: Produktionen anzubieten, die
       nicht nur Themen des wohlsituierten, weißen und gesunden Bildungsbürgertums
       wiederkäuen, sondern eben auch solche aus der gesamten Breite der
       Gesellschaft. Mit Künstler*innen, die ebenfalls nicht durch
       Beeinträchtigungen daran gehindert wurden. Auch das Wie ist hier
       entscheidend, denn manchmal verstärkt ein gut gemeinter Versuch noch die
       Stigmatisierung.
       
       Es muss also darum gehen, die Ausgrenzung zu beenden und in der Kunst eine
       gleichberechtigte Gesellschaft zu repräsentieren, die es außerhalb noch gar
       nicht gibt. Das klingt nach einer paradoxen Utopie, ist aber schlichtweg
       Pflicht.
       
       Die Frage ist nur, wie man ihr gerecht werden kann. Mit Verordnungen von
       oben geht es schon mal nicht: wegen der Freiheit der Kunst einerseits, und
       weil es auch in der Kultur ganz handfest auch ums Geld geht. Man denkt beim
       Kulturkonsum nicht gern drüber nach, aber Kunst wird in der überwältigenden
       Mehrheit in sämtlichen Sparten von einem unübersichtlichen Haufen
       unterfinanzierter Überzeugungstäter*innen gemacht, die sich mit hartem
       Ellenbogeneinsatz um sehr begrenzte Fördertöpfe drängen.
       
       Hemmungen gibt es fraglos auch im Publikum: sich neben den Problemen, mit
       denen sich Theater sowieso befasst, auch noch mit denen von Menschen mit
       Beeinträchtigungen herumzuschlagen, klingt im ersten Moment wenig
       einladend. Und selbst bei den schlichten Rahmenbedingungen hält sich die
       Begeisterung in Grenzen, wenn etwa denkmalgeschützte Theater oder von
       Besetzer*innengenerationen eingelebte Kiezkneipen umgebaut werden müssen.
       
       Doch auch wenn das Ziel in weiter Ferne liegt, gibt es doch Ansätze.
       Insbesondere in der freien Szene haben sich inklusive Kollektive gegründet
       und sich über die Jahre nicht nur künstlerisch ausdifferenziert, sondern
       auch am Mark etabliert: Blaumeier in Bremen, die Hamburger Schlumper oder
       überregional das Theater Ramba Zamba aus Berlin. Kompanien wie diese
       gewinnen inzwischen unzählige Preise, werden regelmäßig zu Gastspielen
       geladen und kriegen dort wie zu Hause die Häuser voll.
       
       ## Beeinträchtigungen rücken aus dem Fokus
       
       Das sind Nischenproduktionen, klar. Aber sie zeigen heute schon, was in der
       UN-Behindertenrechtskonvention als Ziel gesetzt ist. Dass es nicht allein
       darum geht, „Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr
       kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten“,
       sondern dass darin eine „Bereicherung der Gesellschaft“ liegt.
       
       Bei jedem einzelnen Besuch erlebt das wachsende Publikum hier, wie die
       Beeinträchtigungen einzelner Akteur*innen aus dem Fokus rücken – wie
       Ästhetik Normierungen aushebelt und wie vermeintliche Hauptsachen plötzlich
       keine Rolle mehr spielen. Für den Moment jedenfalls – und mit der Zeit
       darüber hinaus.
       
       Natürlich löst eine inklusive Kultur die Notwendigkeit nicht ab, Kinder mit
       Beeinträchtigungen etwa am normalen Schulbetrieb teilhaben zu lassen. Wer
       aber Inklusion sagt und allein wirtschaftliche Sphäre meint, der
       überschätzt die integrative Kraft des Kapitals. Schon Henry Ford hatte den
       Invaliden Platz am Fließband gemacht (mit einigem Zynismus übrigens, weil
       es nicht zuletzt die von den eigenen Maschinen verletzten waren, die dort
       weiter für ihren kärglichen Lebensunterhalt schuften sollten).
       
       Geld, zumal eigenhändig verdientes, ist die Grundvoraussetzung der Teilhabe
       am gesellschaftlichen Leben. Aber wie dieses Leben dann aussieht, was schön
       daran ist, was man haben, wen man lieben will und woraus sich auch das
       eigene Selbstwertgefühl speist – das bestimmt die Kultur als das
       eigentliche ideologieproduzierende Gewerbe.
       
       Inklusive Kultur tritt also für beides an: für die unmittelbare Teilhabe
       aller Menschen an der Kunst – und in der Folge für die Arbeit an einem
       Gesellschaftsbild, das nicht allein die eingeschliffenen Normvorstellungen
       reproduziert.
       
       Für Politik und Kulturbetrieb bedeutet das die Pflicht, äußere Barrieren
       abzubauen, und dazu zu ermutigen, auch die inneren in Angriff zu nehmen.
       Und für das Publikum geht es nicht um Feelgood oder die Frage, welcher
       Kulturkonsum den größten moralischen Mehrwert im Gepäck hat, sondern darum,
       sich mit den eigenen Vorurteilen und alten Gewissheiten
       auseinanderzusetzen. Oder einfacher: Es geht um Kunst.
       
       Mehr darüber wie Menschen mit Behinderung in den Kulturbetrieb integriert
       werden und auf welche Schwierigkeiten sie treffen, lesen Sie im aktuellen
       Wochenendschwerpunkt der taz.nord oder am [1][E-Kiosk].
       
       4 Jan 2019
       
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