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       # taz.de -- Kommentar Höhenflug der Grünen: Sagen, wo sie stehen
       
       > Die Grünen locken mit ihrem linken Sound auch frustrierte SPD-WählerInnen
       > an. Aber wie ernst ist es ihnen wirklich mit der Sozialpolitik?
       
   IMG Bild: Die Grünen verdanken ihren Aufschwung auch den Vorsitzenden Baerbock und Habeck
       
       Wenn Christian Lindner eines beherrscht, dann ist es die Kunst des
       vergifteten Lobes. [1][„Cremig“ nennt der in Fragen der Hautpflege sicher
       kundige Freidemokrat die Grünen] und ihren Shootingstar Robert Habeck und
       schafft damit ein Label, das hängen bleibt. Die Grünen als duftendes
       Kosmetikprodukt, irgendwas zwischen Nivea und Dr. Hauschka. Rückfettend,
       anschmiegsam und geschmeidig.
       
       Ein bisschen gemein ist das, aber auch zutreffend. Man steht ja etwas
       ratlos neben dem grünen Höhenflug, weil eine entscheidende Frage
       offenbleibt: Wo stehen sie eigentlich, wenn es hart auf hart kommt?
       
       [2][Ja, die Partei verdankt ihren Aufschwung der Performance ihrer
       Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock], ihrer antipopulistischen
       Haltung und der Tatsache, dass immer mehr Menschen die Ökologie als
       entscheidendes Menschheitsthema akzeptieren. Aber die neuen Grünen sind
       auch deshalb so erfolgreich, weil sie den Eindruck erwecken, ernsthaft an
       Sozialpolitik und Verteilungsfragen interessiert zu sein.
       
       Sie wollen Hartz IV durch eine neue Grundsicherung ersetzen, die Sanktionen
       für Arbeitslose abschaffen und hohe Vermögen stärker besteuern. Der linke
       Sound, den Habeck und Baerbock fördern, kommt gut an. Die Grünen siegten in
       Bayern und Hessen auch deshalb, weil sie frustrierte SPD-WählerInnen
       anlockten.
       
       ## Im Kern bürgerlich
       
       Allein: Ob Taten folgen würden, weiß man nicht. Wenn die Grünen ja etwas
       nicht sein wollen, dann ist es links. Selbst Linksgrüne murmeln, man sage
       ja lieber „progressiv“, und Habeck mag das Wort sowieso nur mit dem Zusatz
       „liberal“ verwenden. Vielleicht ist ein solches Bekenntnis dann doch etwas
       zu radikal für eine im Kern bürgerliche Partei, die sich nicht eingestehen
       will, wie sehr sie sich über nette Leitartikel in der Frankfurter
       Allgemeinen Zeitung freut. Die Grünen wollen gemocht werden, am liebsten
       von allen.
       
       Reichtum anders verteilen, eine Bürgerversicherung oder das Ende von Hartz
       IV ließen sich ja nur gegen die CDU durchsetzen, nicht mit ihr. Eigentlich
       müssten die Grünen offensiv an Linksbündnissen arbeiten, sie tun es aber
       nicht – von ein paar Unermüdlichen aus dem linken Flügel abgesehen. In
       Bayern weinten sie fast in die Mikrofone, weil sich CSU-Mann Söder gegen
       sie entschied.
       
       [3][Auch in Hessen zeigten sie wenig Leidenschaft, den
       CDU-Ministerpräsidenten Bouffier mit einer Ampel in Pension zu schicken].
       Ihre erleichterten Stoßseufzer, als es für ein Linksbündnis nicht reichte,
       waren bis nach Berlin zu hören. In Schleswig-Holstein fand Habeck vor gut
       einem Jahr das bürgerliche Jamaika cooler als eine Ampel mit der SPD.
       
       ## Rebellen, die sich an die CDU kuscheln, sind keine
       
       Man hat sich arrangiert. Klug ist die stillschweigende Akzeptanz der
       konservativen Dominanz jedoch nicht. Auf Dauer wird den WählerInnen der
       Widerspruch zwischen grüner Möchtegernradikalität und ihrer Strategie
       auffallen. Rebellen, die sich an die CDU kuscheln, sind keine. Die Grünen
       tun sich keinen Gefallen, wenn sie die SPD in der Großen Koalition
       ersetzen. Das Schicksal der Sozialdemokratie spricht für sich.
       
       Im Bund könnten die Grünen recht schnell vor der Aufforderung stehen: Sag
       mir, wo du stehst. Merkels Tage im Kanzleramt sind gezählt, ihr Abschied
       ist nur noch eine Frage der Zeit. Käme dann sofort Jamaika? Nein. Die
       Grünen würden vermutlich auf Neuwahlen drängen. Sie wären schön dumm, auf
       Basis des 8,9-Prozent-Ergebnisses von 2017 in eine Koalition mit Merkels
       NachfolgerIn und der FDP einzutreten.
       
       Im Falle einer Neuwahl aber ist angesichts der volatilen Verhältnisse alles
       möglich. Die Grünen könnten mit einem Traumergebnis an der SPD vorbeiziehen
       – und zu entscheidenden Playern werden. Wer mag ausschließen, dass
       plötzlich Rot-Rot-Grün wieder ginge, gegen eine nach rechts rückende CDU?
       Dann müssen die Grünen endgültig beweisen, wie ernst es ihnen mit der
       sozialökologischen Wende ist.
       
       3 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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