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       # taz.de -- Friedrich Wilhelm Raiffeisen: Abgründe eines Weltverbesserers
       
       > Der Sozialreformer Raiffeisen wird gefeiert, ignoriert wird dabei sein
       > Antisemitismus. Ein neues Buch sucht ein realistischeres Bild.
       
   IMG Bild: Relikte von früher: Im Wirken von Friedrich Raiffeisen war nicht alles so sauber wie es scheint
       
       BERLIN taz | Der Geburtstag des Sozialreformers Friedrich Wilhelm
       Raiffeisen, eines Pioniers des genossenschaftlichen Organisationsmodells,
       jährte sich im März zum 200. Mal. Die Würdigungen, die aus diesem Anlass
       geschrieben wurden, malten das Bild eines selbstlosen Wohltäters, der in
       Sachen barmherziger Philanthropie selbst Jesus Christus in die Tasche
       stecken würde.
       
       Vor allem Publikationen aus dem Südwesten Deutschlands übten sich in
       scheinbar lokalpatriotisch motivierten Lobhudeleien. Vom „Weltverbesserer
       aus dem Westerwald“ war zum Beispiel beim SWR die Rede. Der Südkurier
       nannte Raiffeisen einen „friedlichen Revolutionär der Solidarität“, der das
       Robin-Hood-Prinzip „Einer für alle, alle für einen“, das natürlich nicht
       das Robin-Hood-Prinzip ist, verwirklicht habe. Im Deutschlandfunk war zu
       hören, dass der Grundstein für Raiffeisens Genossenschaften der
       „unerschütterliche christliche Glaube und die praktizierte Nächstenliebe“
       seines Elternhauses gewesen seien.
       
       Das Buch „Raiffeisen: Anfang und Ende“ von Wilhelm Kaltenborn, seit 2002
       Aufsichtsratvorsitzender der Zentralkonsum eG, setzt diesen unkritischen
       Auseinandersetzungen nun allerhand Abgründe entgegen. Anlass seiner Arbeit,
       so beginnt Kaltenborn gleich, sei die „mit Sicherheit zu erwartende
       Verklärung“, der der Genossenschaftler Raiffeisen nun, zum Gedenken an
       seinen 200. Geburtstag, ausgesetzt sein werde. Er sei sich sicher, so
       Kaltenborn weiter, dass Raiffeisens fanatischer Antisemitismus in den
       Würdigungen keine Erwähnung finden werde. Sein Buch ist also als Korrektiv
       gedacht, als notwendiges Geraderücken einer schiefen Perspektive.
       
       Raiffeisens Judenhass, im christlichen Fundamentalismus begründet, war
       nämlich durchaus sinnstiftend für das genossenschaftliche Modell, das er
       als Bürgermeister von rheinland-pfälzischen Kleinstädten Mitte des 19.
       Jahrhunderts implementierte.
       
       ## Fragwürdige Heldenerzählung
       
       Er fantasierte vom jüdischen Wucherkapitalisten, der die arme christliche
       Bauernschaft in prekäre Verhältnisse zwinge, und setzte dieser Fiktion sein
       Ideal vom gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb in genossenschaftlicher
       Solidarität entgegen. Die Genossenschaft verstand er darüber hinaus als
       Maßnahme zur christlichen Erziehung. Der Glaube war wiederum wirksames
       Gegengift zu der von ihm so gehassten Sozialdemokratie.
       
       Den unteren Volksklassen, sagte er, dürfe man „die Hoffnung auf ein
       besseres Jenseits nicht nehmen […], weil sie sonst ihr hartes Schicksal
       nicht mehr ruhig ertragen und der Umsturzpartei in die Arme getrieben
       würden“. Einen Umsturz nämlich wollte er unbedingt vermeiden; von der Gunst
       der preußischen Machtelite, das zeigt Kaltenborn auch, war Raiffeisens
       Sache direkt abhängig. Die deutsche Geschichtsschreibung hat diese wenig
       rühmlichen Beweggründe bisher entweder ignoriert oder verharmlost und sich
       lieber auf die Aspekte berufen, die zur Heldenerzählung taugen. Vor hundert
       Jahren, als peinliches Pathos noch nicht verpönt war, schrieb sein Biograf
       Willy Krebs zum Beispiel, dass einem aus dem Nachlass „ein warmer Hauch
       reinster Menschenliebe“ entgegenwehe.
       
       Im Tonfall seriöser, im Grunde aber nicht minder unkritisch schrieb der
       Historiker Michael Klein Mitte der neunziger Jahre in seiner Dissertation
       (so ähnlich steht es noch immer auf Wikipedia), Raiffeisen sei, was
       Judenhass angehe, „leider ein Kind seiner Zeit“ gewesen. Er fügt hinzu,
       dass Raiffeisen stets bemüht gewesen sei, seine Ressentiments
       wissenschaftlich zu fundieren. Die aktuellen „Weltverbesserer vom
       Westerwald“-Schwärmereien legen nahe, dass die öffentliche Meinung zu
       Raiffeisen nicht differenzierter geworden ist.
       
       Es soll ja nicht darum gehen, das genossenschaftliche Modell als solches zu
       diskreditieren oder Raiffeisens unbestreitbare Verdienste als
       Sozialreformer kleinzureden. Dennoch ist mit geschichtsrevisionistischen
       Lobhudeleien niemandem gedient.
       
       Einen Antisemiten muss man einen solchen nennen. „Kind seiner
       Zeit“-Rechtfertigungen zählen nicht. Seine Zeit, darauf weist Kaltenborn
       hin, hatte auch andere Kinder.
       
       15 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Jekal
       
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