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       # taz.de -- Fotoband über Dragqueens in Brasilien: Dufte Clique
       
       > Ein Besuch in der Rua dos Inválidos 29 in Rio de Janeiro – dem wohl
       > ältesten noch aktiven Schwulen- und Dragqueen-Treffpunkt der Welt.
       
   IMG Bild: Die Verwandlung: In der Garderobe der Dragqueen-Truppe Turma OK
       
       Gleich neben dem Zentrum von Rio de Janeiro liegt das quirlige
       Bohemeviertel Lapa. Es sind nur wenige Straßenzüge, in denen nachts
       getrunken, getanzt und gelebt wird. Sambalokale neben Rockschuppen, dazu
       unzählige Kneipen. In Lapa ist auch der Transenstrich, sind viele Drogen im
       Angebot. Aber abseits oberflächlicher Klischees steht das Viertel auch für
       Geschichten wie die der Madame Satã, einer bitterarmen Dragqueen, die vor
       70 Jahren in Lapa für die Rechte von Bettlern, Huren und Schwarzen eintrat.
       
       Abseits der brodelnden Hauptstraße Mem de Sá ist an einem Sonntagabend das
       Nachtleben aber sogar in Lapa begrenzt. Schon drei Blocks entfernt herrscht
       gähnende Ruhe. Kleine, zumeist einstöckige Reihenhäuser in
       Kolonialarchitektur säumen einsame Straßen. Vor einer Kirche haben sich
       drei Straßenbewohner in dünne Decken gewickelt. Sonst ist es menschenleer.
       Nur in der Nummer 39 der Rua dos Inválidos steht eine Tür offen, dahinter
       führt eine schmale Treppe steil nach oben. Nichts deutet darauf hin, dass
       sich hier die „Turma OK“ trifft, der (angeblich) älteste noch aktive
       Schwulen- und Dragqueentreffpunkt der Welt.
       
       Reiner Zufall, dass die Fotografin Anja Kessler die Gruppe der Turma OK
       kennenlernte. Sie lebt in Rio und fotografiert seit vielen Jahren Land und
       Menschen. Vor drei Jahren lernte sie die zumeist schon etwas betagten
       Herren kennen, die sich mit liebevoll aufgetragener Schminke und gewagten
       Kleidern in singende Diven verwandeln. Kessler begann sie zu fotografieren:
       die knallroten Lippen, die Falten unter dem Make-up, der Blick in den
       Spiegel, der Augenaufschlag, die Persönlichkeit, die sich am Ende des
       Rollentauschs präsentiert.
       
       Entstanden sind Bilder von Stars, die hinter den Kulissen hart an sich
       arbeiten. Elegante Kleider verdecken Bauchansätze oder zu muskulöse
       Schulterpartien nur unzureichend.
       
       Zigmal war Kessler bei den Shows dabei. Eine Auswahl der Bilder, unterlegt
       mit Texten des Journalisten Wolfgang Kunath, sind jetzt in dem Fotoband
       „Der Klub der Königinnen“ zu sehen. Ein Einblick in eine der skurrilsten
       Ecken des Vergnügungsviertels Lapa. Auch an diesem Sonntagabend
       fotografiert Kessler wieder, obwohl ihr Bildband schon in Druck ist. „Ich
       habe mich einfach verliebt in diesen Laden, das Ambiente ist
       unwiderstehlich“, sagt sie. Über die Darstellerinnen sagt sie: „Sie sind
       natürlich alle sehr eitel und stehen gerne im Rampenlicht, im Fokus. Es
       sind Menschen, die sich nicht verstecken, und die Bilder landen oft gleich
       bei Facebook.“
       
       ## Wie eine große Familie
       
       Für Anja Kessler ist Turma OK eine eigene Kultur. „Alle Männer hier sind
       homosexuell, aber nicht alle verkleiden sich als Frau, einige gehen auch
       als Männer auf die Bühne, weil sie Spaß am Auftritt haben.“ Der Klub mit
       dem recht altbackenen Namen, der mit „Dufte Clique“ übersetzt werden
       könnte, versteht sich als eine große Familie, in jeder Hinsicht. Die Fotos
       für ihr Buch sind teilweise an anderen Orten entstanden, bei den Künstlern
       zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz, im Alltag. „Zu sehen sind aber nur die
       Mitglieder der Turma OK. Es ist also kein Fotoband über die Gay-Szene in
       Rio“, sagt Kessler.
       
       Während die Fotografin am Rand der Bühne verharrt, beginnt eine Diva in
       langem weißem Kleid mit eindrucksvoller Perlenkette ihren Auftritt. Ihr
       Gospelsong, der auch in einer evangelikalen Kirche nebenan gespielt werden
       könnte, wird stürmisch beklatscht. Knapp 50 Besucher, darunter nur wenige
       Frauen, sitzen in dem langgestreckten Raum und blicken zur glitzernden
       Bühne. Die meisten haben weißes oder schütteres Haar, junge Menschen sind
       im Publikum ebenso wie auf der Bühne die Ausnahme.
       
       In der kleinen Eingangshalle, zwischen plüschigen Sofas, beschreibt Roberto
       gestenreich die Persönlichkeit, in die er sich am liebsten verwandelt. Er
       ist stolz darauf, dass er beziehungsweise sie das Titelbild des Bildbands
       schmückt. „Das Spiel mit den Masken, das ist unsere Identität“, sagt
       Roberto und bedauert fast, dass er heute nicht selbst auftreten wird. Fast
       60 Jahre gebe es Turma OK inzwischen. „Seit vor Kurzem ein noch älterer
       Klub in Dänemark geschlossen wurde, sind wir die am längsten aktive
       Gruppe“, sagt er.
       
       Über die Gründungsgeschichte sind mehr Mythen als Fakten bekannt, schreibt
       Kunath in seinem Essay zu den Fotos. Die damals dabei waren, seien
       mittlerweile tot. Der Gründungstag soll im Januar 1961 liegen. Die
       Zuschauer durften damals, so die Historie, um ihren Beifall zu äußern, nur
       mit den Fingern schnipsen, „weil Klatschen womöglich die Nachbarn auf die
       suspekte Versammlung von Männern aufmerksam gemacht hätte“, so Kunath.
       
       Dieses erste Treffen von Turma OK fand demnach in einer Privatwohnung im
       wohlhabenden Stadtteil Flamengo statt. In Brasilien herrschte
       Aufbruchstimmung, sagt Kunath, neue Musikstile wie der Bossa nova
       entstanden, und erstmals hatte Brasilien eine Fußball-WM gewonnen. Wenig
       später begannen die 21 Jahre Militärdiktatur. Damals wie heute scheint der
       Club die Öffentlichkeit eher zu meiden. „Es ist eine Nische, die Turma
       wendet sich nicht nach außen“, sagt Kunath.
       
       Es sei faszinierend, zu beobachten, wie sich die Menschen in diesen Luxus,
       in den vergänglichen Moment von Verschwendung und Verwandlung
       hineinsteigern können. Der Fotoband „Der Klub der Königinnen“ zeige die
       Faszination und die Widersprüchlichkeit einer Dragqueentruppe, die „sich
       selbst genug“ ist. Kunath: „Es ist ein liebenswürdiges, durchaus ein
       bisschen verschrobenes Dasein am Rande der brasilianischen Schwulenszene,
       die mit den älteren Herren in den pompösen Damenroben ebenso wenig anfangen
       kann wie mit den alten brasilianischen und internationalen Heulern, zu
       denen die Turma-OK-Mitglieder zu singen fingieren.“
       
       19 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
       ## TAGS
       
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