URI:
       # taz.de -- Kolumne Immer bereit: Katze in Antik
       
       > Urlaub als Berliner Paar in Athen – das ist einfach schön! Über Gyros und
       > Katzen, Hundescheiße und Katzenpisse, ach ja, und über Wolfgang
       > Schäuble!?
       
   IMG Bild: Mietzekatze in Athen? Oder in Amsterdam? Eine Weltkatze!
       
       „Athens is the new Berlin“, steht an der Ruine eines Hauses in Exarchia,
       dem Studentenviertel der griechischen Hauptstadt. Es ist ein großer
       klassizistischer Bau, vielleicht war es früher ein Kaufhaus. Das Dach ist
       eingestürzt und gibt den Blick frei auf einen azurblauen Himmel. Kein
       Stückchen Fensterglas trübt die Sicht. Die Fassade ist das einzige, was
       noch steht. Auf der vierspurigen Straße davor rauscht der Verkehr vorbei.
       
       Athen ist atemberaubend. Wunderschön und aufregend, aber stinkend wie
       Berlin in den Achtzigern. Die meisten Straßen sind eng wie Nadelöhre, aber
       niemand fährt hier weniger als 50 km/h. Ampeln und Verkehrsregeln scheinen
       eher als Möglichkeit formuliert. Es gibt keinen Ort in der Stadt, wo man
       nicht wenigstens mit dem Moped drauffahren könnte. Dass wir auf der
       Akropolis keine motorisierten Fahrzeuge sehen, liegt einzig daran, dass die
       antiken Marmorstufen für die Räder zu hoch sind.
       
       Athen ist ein großer Steinhaufen. Das sieht man, wenn man von oben drauf
       guckt. Alte Steine, neue Steine, wertvolle Steine und verfallene Wohnhäuser
       zwischen neu restaurierten. Und ganz oben drauf thront, bei Nacht von
       tausend Scheinwerfern vergoldet, die schönste Ruine von allen, die
       Akropolis. Man sieht sie von fast jedem Punkt der Stadt. Wie bei uns den
       Fernsehturm. Sehr praktisch für so Orientierungsversager wie Paul und mich.
       
       „So aufgeräumt irgendwie“, sagt Paul, als wir auf die Stadt niederblicken.
       „Als hätten die Götter Tetris gespielt.“
       
       ## Tränen des Entzückens
       
       Der Eindruck des Aufgeräumten verfliegt schnell, wenn man unten durch die
       Straßen läuft. So viele Häuser auf so engem Raum und die Straßen dabei so
       hügelig, dass einem schon vom Laufen schwindelig wird.
       
       Die Gehwege sind schmal und mit Hundescheiße verziert. Überall riecht es
       nach Katzenpisse. Müllcontainer stehen auf der Straße, in den Hinterhöfen
       ist schlicht kein Platz. Im Rinnstein blühen Oleander, Hibiskus und
       Rhododendron, dass es der Hobbybalkongärtnerin Tränen des Entzückens in die
       Augen treibt.
       
       Unsere Ferienwohnung ist schick, aber klein wie ein Schuhkarton. Morgens
       hört man den Auswurf des Übermieters, abends den Gesang der Männer in der
       Teestube im Erdgeschoss. Es gibt einen Balkon zum Hof, der so schmal ist,
       dass man die Logistik eines Rangierbahnhofes braucht, um zwei Erwachsene,
       zwei Trinkgefäße und einen Aschenbecher darauf unterzubringen. Tauben
       schlafen auf einer Markise im Erdgeschoss links, deshalb machen wir kein
       Licht. Es ist wunderschön.
       
       Wir laufen. Wir laufen von früh bis spät. Die Hügel hinauf, die Hügel
       hinunter. Paul isst dreimal am Tag Gyros und hat den Urlaub seines Lebens.
       Als ich einwende, er könnte ja auch mal Salat essen, bestellt er Grillkäse.
       
       ## Ein verheißungsvoller, verzweifelter Ort
       
       Die Athener sind unfassbar freundlich zu uns. Wenn sie uns kommen sehen,
       mich mit leichtem Gehfehler an Pauls Arm, fangen sie nie an zu starren, wie
       es in Deutschland immer passiert, sondern registrieren, lächeln freundlich
       und lassen uns durch. Ein für Berliner unvorstellbares Verhalten.
       
       Wir ahnungslosen Deutschen hatten Griechenland vorher mit Italien
       assoziiert. Antike, dachten wir, griechisch, römisch, alles eins. Totaler
       Quark. Athen ist ganz anders, viel osteuropäischer, viel orientalischer.
       Viel ärmer. Es erinnert mich an Istanbul, ans Hamburger Schanzenviertel und
       an Berlin kurz nach der Wende. Ein irgendwie verheißungsvoller,
       verzweifelter Ort.
       
       Und dann die Katzen. Sie sind überall. In jedem Restaurant, jeder
       Mülltonne, auf jedem Dach und in jeder Ecke. Ich dachte ja immer, in Athen
       würde es Eulen geben, aber ich fürchte, die wurden alle von den Katzen
       gefressen.
       
       Und trotzdem sind sie so niedlich. Selbst ich poste Katzenfotos auf
       Instagram, dabei kann ich Katzen eigentlich gar nicht leiden.
       
       „Katze in Antik“, witzelt Paul und bestellt einen neuen Teller Gyros.
       
       Am dritten Abend sind wir so erschöpft, dass wir früher nach Hause gehen
       und Fernsehen gucken. Erst läuft Bruce Willis und dann ein langes Interview
       mit Wolfgang Schäuble.
       
       In den Werbepausen fast ausschließlich Reklame für deutsche Produkte.
       
       5 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Streisand
       
       ## TAGS
       
   DIR Athen
   DIR Griechenland
   DIR Museen in Berlin
   DIR ITB Tourismus Börse
   DIR Kolumne Immer bereit
   DIR Kolumne Immer bereit
   DIR Kolumne Immer bereit
   DIR Regen
   DIR Schweden
   DIR Kolumne Immer bereit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne „Immer bereit“: Wie eine Kreissäge in meinem Mund
       
       Unsere Kolumnistin muss zum Zahnarzt und fühlt sich dabei an
       Dauerbaustellen in der Stadt erinnert? Wie passt das bloß zusammen –
       kreisch!
       
   DIR Kolumne Immer bereit: Das Leben der Nachbarn
       
       Soll man aus dem billigsten Haus von Pankow ausziehen, weil die Nachbarn
       nerven? Niemals!
       
   DIR Kolumne Immer bereit: Ständig fragte ich nach Sojamilch
       
       Besserwessitum und Lebensmittelunverträglichkeiten scheinen im kollektiven
       Empfinden der Deutschen eine Einheit zu bilden. Klar scheint: Ostdeutsche
       haben keine Allergien.
       
   DIR Kolumne Immer bereit: Der blanke Horror
       
       Brennnesseln und Farne überwuchern alles. Engelstrompeten verspeisen
       Fischreiher: Der andauernde Regen macht einen ja kirre.
       
   DIR Kolumne „Immer bereit“: Berlin ist wie eine Zimtschnecke
       
       Besuch ist immer gut. Denn es ist irrsinnig spannend, mit Touristen in
       seiner Heimatstadt unterwegs zu sein – weil die Berlin mit anderen Augen
       sehen.
       
   DIR Kolumne Immer bereit: Nettigkeit kennt keine Grenzen!
       
       Solidarität oder Hilfsbereitschaft oder Empathie oder Nächstenliebe – nenn
       es, wie du willst! Sicher ist: Es bringt dich voran.