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       # taz.de -- Separatisten stimmen für Unabhängigkeit: Katalanisches Drama
       
       > Die Separatisten fordern Spaniens Regierung heraus: Das Regionalparlament
       > verabschiedet eine Resolution zur Unabhängigkeit. Madrid kontert.
       
   IMG Bild: Carles Puigdemont hat das katalanische Parlament hinter sich
       
       Barcelona taz | Der Freitag und schon die ganze Woche glich in Spanien
       einem Krimi – in mehreren Akten. Zuerst sah alles noch gut aus, jedenfalls
       für die Unabhängigkeitsbefürworter: Um 15:27 Uhr stimmte die Mehrheit des
       katalanischen Parlaments [1][einem Antrag zu], den katalanischen
       Regierungschefs Carles Puigdemont zu beauftragen, „alle notwendigen
       Resolutionen zu erlassen, um das Gesetz des juristischen und funktionalen
       Übergangs der Republik umzusetzen.“
       
       Im Vorwort der Resolution der Fraktion des Wahlbündnisses Gemeinsam für
       dass Ja (JxSí) und der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit
       (CUP) steht, was das genau bedeutet: „Wir machen uns den Auftrag des Volkes
       von Katalonien, der im Referendum zur Selbstbestimmung am 1. Oktober zum
       Ausdruck gebracht wurde, zu eigen, und erklären, dass Katalonien sich zu
       einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wandelt.“ Die Befürworter
       stimmten die Nationalhymne an. Ihr Traum von der Unabhängigkeit schien zum
       Greifen nah.
       
       Die Resolution erhielt 70 Ja-Stimmen, zehn Nein-Stimmen. Zwei Abgeordnete
       gaben einen leeren Stimmzettel ab. JxSí und die CUP verfügen zusammen über
       72 Stimmen. Bis auf die Abgeordenten der Liste Ja, Katalonien kann (CSQP)
       hatten alle Oppositionsparteien – die rechtsliberalen Ciudadanos, die
       sozialistische PSC und die in Madrid regierende Partido Popular (PP) – den
       Plenarsaal aus Protest verlassen, bevor die Befürworter der Unabhängigkeit
       damit auch den letzten Schritt zur Eigenständigkeit verabschiedeten.
       
       Bei dem vom Verfassungsgericht für illegal erklärten Referendum am 1.
       Oktober, auf das sich die Resolution beruft, hatten etwa 90 Prozent für die
       Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Region gestimmt. Es beteiligten sich
       allerdings nur 43 Prozent der Wahlberechtigten. Das Gesetz zum Übergang,
       auf das sich die Resolution bezieht, wurde ebenfalls für ungültig erklärt.
       
       „Die letzten beiden Tagen waren wie eine Achterbahnfahrt“, erklärt Nil
       Rider. Der 24-jährige Geschichtslehrer ist den zweiten Tag in Folge auf der
       Straße. Erst besorgt, dann verstört, schließlich verärgert, dann wieder
       voller Hoffnung. Und jetzt feiert er sein „Freies Katalonien“,
       überglücklich vor dem katalanischen Parlament in Barcelona. Dass es soweit
       kommen würde, daran hat er nicht mehr geglaubt.
       
       Denn am Donnerstag um die Mittagszeit wurde bekannt, dass Puigdemont mit
       dem Gedanken spielte, statt der Unabhängigkeit Neuwahlen auszurufen. Rider
       war unter denen, die vor dem Regierungspalast auf der Plaça Sant Jaume im
       Herzen Barcelonas enttäuscht demonstrierten. „Verräter“, riefen sie und
       meinten damit den Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt so etwas wie ein Vater
       für die Unabhängigkeitsbewegung war, weil „er Katalonien soweit gebracht
       hat“ – an die Schwelle zur Unabhängigkeit.
       
       ## Dreh auf Dreh
       
       Immer wieder sagte der „President de la Generalitat“, so Puigdermonts
       Titel, eine öffentliche Erklärung ab, bis er dann um Donnerstagnachmittag
       um 17 Uhr endlich vor die Kameras trat. Und alles nahm erneut einen Dreh um
       180 Grad. Puigdemont erklärte, er habe sehr wohl die Einberufung von
       Neuwahlen in Erwägung gezogen, doch von der Regierung in Madrid unter dem
       Konservativen Mariano Rajoy „keinerlei Garantien erhalten“. Puigdemont
       hatte verlangt, dass die spanische Regierung keine Zwangsmaßnahmen gegen
       die katalanische Autonomie ergreife. Der Machtkampf zwischen beiden ist da
       längst an der Schwelle zur Eskalation.
       
       Rajoys Partido Popular (PP) machte demnach in Madrid weiter wie gehabt. Die
       zweite Kammer des spanischen Parlaments beriet über die Anwendung des
       Verfassungsartikels 155 und damit über die Aussetzung der katalanischen
       Autonomie, die Amtsenthebung der Regierung Puigdemont und die Verwaltung
       der nordostspanischen Region von Ministerien in Madrid.
       
       „Es gibt keine Alternative. Das Einzige, was man tun kann, ist zum Gesetz
       zu greifen, um zu erreichen, dass das Gesetz respektiert wird“, forderte
       Ministerpräsident Rajoy den Senat auf, für den Paragraf 155 zu stimmen.
       Seine PP hat die absolute Mehrheit und wird außerdem von der
       sozialistischen PSOE und den rechtsliberalen Ciudadanos unterstützt. Am
       Samstag werden die Maßnahmen im Amtsblatt veröffentlicht und umgesetzt.
       
       Außerdem hat die spanische Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen
       Puigdemont wegen „Rebellion“ angekündigt. Die Behörde werde in der
       kommenden Woche Anklage erheben, sagte ein Sprecher am Freitag. Auf
       „Rebellion“ steht im spanischen Recht eine Höchststrafe von 30 Jahren Haft.
       
       ## DUI gegen 155
       
       Es war wie die Übertragung zweier Fußballspiele – DUI, wie die „einseitige
       Unabhängigkeitserklärung“ auf Katalanisch abgekürzt wird, gegen den
       Paragrafen 155. Radio und Fernsehen sowohl in Katalonien als auch im
       restlichen Spanien schalteten permanent hin und her. Überall in Kneipen und
       Cafés liefen die Fernseher, an so manchem Arbeitsplatz das Radio.
       Puigdemont war von einer Minute zur anderen wieder der allseits geliebte
       Held der Befürworter der Unabhängigkeit. Als er am Freitag den
       Regierungspalast in Richtung Parlament verließ, applaudierte die
       Menschenmenge, die sich mit ihren Unabhängigkeitsfahnen auf dem Platz Sant
       Jaume versammelt hatte.
       
       Im Parlament hatten sich neben den Abgeordneten über 200 der insgesamt 942
       katalanischen Bürgermeister versammelt. Ihren Amtsstab in der Hand
       skandierten sie „Unabhängigkeit“. Draußen demonstrierten Tausende für die
       Ausrufung der Republik Katalonien. Darunter auch Rider, der einen Großteil
       seiner Freizeit der Erforschung katalanischer Bräuche widmet. „Wenn wir
       stark dran ziehen, werden wir es zu Fall bringen. Es kann nicht mehr lange
       dauern. Ganz sicher: Es fällt, es fällt, es fällt …“, sangen die Menschen
       vor dem Parlament immer wieder.
       
       Es ist das Lied des katalanischen Protestsängers Lluis Llach aus den
       letzten Jahren der Franco-Diktatur. Llach saß mit unter den Abgeordneten
       von Puigdemonts Bündnis Gemeinsam für das Ja (JxSí) und stimmte stolz und
       entschieden für die Unabhängigkeit.
       
       ## Freitag, 16:04 Uhr
       
       Bernardo Ramón López ist einer von denen, die am Freitag den Bildschirm
       keinen Moment aus den Augen ließen. „Eine Katastrophe. Jetzt wird der Staat
       mit den 155 umsetzen“, ist sich der 63-jährige sicher. Am Donnerstag noch
       war er den ganzen Tag durch Barcelona gestreift, beobachte die
       Demonstrationen und verfolgte das politische Hin und her. „Keiner kann sich
       außerhalb des Gesetzes stellen. Wäre das Referendum am 1. Oktober legal
       gewesen, hätte ich abgestimmt. Mit Nein“, sagt der Mann, der mit 18 aus dem
       zentralspanischen Avila nach Barcelona kam.
       
       Aber dass [2][jetzt Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden], das unterstützt er
       auch nicht. „Das wird ein Volk verarmen lassen“, meint er besorgt. „Das
       hier ist meine Heimat. Meine Frau ist Katalanin“, sagt er. Für López ist
       alles, was in den letzten Wochen passiert ist, der Unfähigkeit der Politik
       zuzuschreiben. „Ich habe Angst vor der Zukunft.“
       
       Auch Rider ist besorgt angesichts dessen was jetzt mit dem Artikel 155
       kommen kann. Er spricht von passivem Widerstand und befürchtet eine Welle
       der Repression. „Wir müssen stark sein und zu unserer Überzeugung stehen.
       Wir haben uns niemals in Spanien wohlgefühlt“, sagt er. Die Unabhängigkeit
       ist für ihn genau das: „Gefühl“. Dann um 16:04 Uhr die Nachricht: Der
       spanische Senat stimmt für die Zwangsverwaltung der autonomen Region
       Katalonien. Ein Ende des Krimis ist nicht in Sicht.
       
       27 Oct 2017
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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