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       # taz.de -- G20-Prozess in Hamburg: Bewährungsstrafe für den Mitwerfer
       
       > Yannick M. ist kein Linker. Was trieb ihn dazu, bei den G20-Protesten
       > Flaschen auf Polizisten zu werfen und nach Treffern zu jubeln?
       
   IMG Bild: Yannick M. verdeckt während der Verhandlung sein Gesicht
       
       Hamburg taz | Zu Beginn des Prozesses gibt es kurz Unruhe, als sich eine
       Frau mit kurzen blondierten Haaren und hohen Lederstiefeln in die erste
       Bank setzen will. „Es ist immerhin unser Kind“, sagt sie, während sie nach
       vorne drängt, gleich darauf beginnt sie zu weinen. „Sind Sie
       Journalistin?“, fragte eine Medienfrau skeptisch, aber dann findet sich
       noch ein Platz in der rechten Ecke. Von dort aus kann sie ihren Sohn gut
       sehen, der kaum zu ihr hinüberschauen wird.
       
       Yannick M., 22 Jahre alt, weißes T-Shirt, muskulöse Oberarme, kurze blonde
       Haare. Angeklagt vor dem Hamburger Jugendschöffengericht wegen zweier
       Flaschenwürfe auf Polizisten während einer G20-Demonstration, außerdem ist
       ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen ihn anhängig. In
       den letzten Monaten vor den Flaschenwürfen war er obdachlos, deswegen sitzt
       er seit Juli wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft.
       
       Es herrscht kein Mangel an G20-Prozessen, es gibt Anklagen wegen zwei oder
       vier Flaschenwürfen, mit und ohne Landfriedensbruch, gegen deutsche
       Staatsbürger oder gegen Ausländer. Warum man gerade zu diesem geht? In dem
       Text, den die Pressestelle der Staatsanwaltschaft zum Prozess gegen Yannick
       M. verschickt hat, findet sich ein sonderbares Detail. Da heißt es: „Nach
       jedem Treffer soll M. gejubelt und sich mit dem gesondert Verfolgten B.
       abgeklatscht haben.“
       
       Das ist juristisch betrachtet wenig bedeutsam, es soll auf etwas anderes
       verweisen: dass da jemand Flaschen auf Polizisten wirft als seien es
       Hasenscheiben, die man auf dem Jahrmarkt abschießt. Vielleicht ist dieser
       Prozess eine Gelegenheit zu verstehen, wie aus Polizisten Hasenscheiben
       werden.
       
       ## Der geständige Angeklagte
       
       Yannick M. sagt aus, stockend zu Beginn, aber dann zunehmend flüssig. „Sie
       haben sich nicht geschont“, wird die Richterin hinterher anerkennend zu ihm
       sagen, die Staatsanwältin pflichtet ihr bei.
       
       Es ist nicht so, dass M. Dinge einräumte, die nicht ohnehin auf den
       Beweisfotos zu sehen wären. Es schadet ihm nicht, wenn er sagt, dass er
       nicht aus politischem Interesse zur Demo gekommen sei und „politisch nicht
       so links eingestellt“. Er vergibt sich nichts, wenn er sagt, dass er sich
       „wahrscheinlich durch Alkohol und Adrenalin von der Masse“ habe mitreißen
       lassen. Dass es sein Freund war, der mit dem Flaschenwerfen angefangen habe
       – eine „dumme Idee“ –, dass er sich an ein Abklatschen nach den Treffern
       nicht erinnern könne.
       
       Und doch: Es gibt ein paar Momente, in denen die Richterin Fragen stellt,
       die sehr schlicht und sehr grundlegend sind und in denen Yannick M. genauso
       schlicht antwortet. „Ich bin durch die Menge hervorgetreten und habe die
       Flasche auf die Polizisten geworfen“, erzählt M. und es klingt wie eine
       antike Kampfszene. „Wollten Sie treffen?“, fragt die Richterin. „Ja“,
       antwortet M.
       
       Seine Sprache passt sich ihrer gelegentlich an, er sagt dann: „Ich hege
       keinen direkten Hass gegen die Polizei.“ „Kam Ihnen der Gedanke, dass in
       der Uniform ein Mensch steckt?“, fragt die Richterin. M. antwortet nicht
       direkt, er sagt, es sei „die größte Scheiße“, die er hätte bauen können.
       Die Richterin hakt nach, sie fragt, ob er selber Opfer einer Tätlichkeit
       gewesen sei, er war es, aber nein, er hat diese Erfahrung nicht auf den
       übertragen, auf den er gezielt hat.
       
       ## Über die Umverteilung der Gewalt
       
       Vielleicht ist dies der Moment, um kurz aus Saal 136 hinauszugehen und zu
       hören, was andere über junge Männer wie M. und die Prozesse gegen sie
       denken. Es gibt Kommentatoren, die schreiben, dass es bei Randalen wie
       diese um eine Umverteilung der Gewalt gehe, und sei es für einen Moment,
       eine Umverteilung von den Polizisten zu den Randalierern. Es sind kluge
       Kommentare, und in all ihrer Klugheit erinnern sie an die Journalistin im
       Blazer, die wusste, wo der richtige Platz für die blondierte Mutter war. Es
       gibt einige Juristen, linke und gar nicht so linke, die sagen, dass die
       Urteile, die bislang gegen Flaschenwerfer ergangen sind, unverhältnismäßig
       seien. Bis zur Strafrechtsverschärfung in diesem Jahr seien Angriffe auf
       Polizisten meist mit Geldstrafen geahndet worden, sagt ein Anwalt.
       
       Wenn man ihn fragt, wie es früher war bei den großen Demos, ob es dort auch
       Trittbrettfahrer gegeben habe, dann sagt er: „Nicht in dieser Dimension.
       Die Verbindlichkeit war ganz anders.“ Und noch etwas sei anders gewesen:
       „Die Härte“, und zwar auf beiden Seiten.
       
       In Saal 136 sagt der Polizist aus, dessen Einheit Yannick M. festgenommen
       hat. Es sei „das Übliche“ gewesen, sagt er und klingt bitter, „rauslaufen
       auf die Straße, schmeißen, umdrehen, weglaufen“. Nein, es habe keine
       Filmaufnahmen von M.s Festnahme gegeben, mit Sicherheit nicht. Aber siehe
       da, es gibt sie. M. wippt auf dem Stuhl, während er zuhört. Seine Festnahme
       wirkt sonderbar zufällig, er folgte seinem Freund, der bereits festgenommen
       worden war, in einigen Metern Entfernung. Ob er so betrunken war, dass er
       nicht wusste, was er tat, ob er glaubte, seinen Freund schützen zu können?
       Das weiß nicht einmal M.s Anwalt.
       
       ## Eine gescheiterte Existenz
       
       Es ist klar, welchen Ordnungen Yannick M. in seinem Leben nicht gefolgt
       ist: Die Lehre als Möbel- und Küchenbauer hat er abgebrochen, ist von der
       Mutter zum Vater gezogen, wollte nicht am Familienleben teilnehmen, ist
       dort herausgeflogen, aus der Wohngruppe herausgeflogen, obdachlos, zwei
       Ladendiebstähle, eine Polizistin beleidigt. Hat auf einen Mann eingetreten,
       der ihn attackierte, als er in einen Hauseingang pinkelte. Aber wenn die
       Richterin fragt, ob der Freund, der ihn ein Jahr lang in seiner
       Einzimmerwohnung aufgenommen hat, das Angebot vielleicht zurücknehmen
       würde, dann wirkt M. aufrichtig überrascht. „Würde er nicht“, sagt er, als
       sei das undenkbar. Und noch so eine Ordnung: M. hat niemals staatliche
       Leistungen bezogen, auch nicht, als Obdachloser.
       
       Die JournalistInnen sitzen in Saal 136, weil Yannick M. ein G20-Täter ist,
       aber juristisch schwerer wiegt der zweite Vorwurf gegen ihn: die
       Misshandlung Philipp M.s, des Mannes, der ihn wegen des Pinkelns geschubst
       hat. Yannik soll mit den Füßen den Kopf des bereits am Boden liegenden
       blutenden Opfers getreten haben. Bei ihm kann er nicht behaupten, er sei
       doch durch Schutzkleidung sicher vor ihm gewesen.
       
       Zur ersten Vorladung ist Philipp M. nicht gekommen, zur zweiten erscheint
       er: ein schmaler Mittdreißiger aus der IT-Branche. An die Tat kann er sich
       kaum erinnern. So wenig wie es die anderen Zeugen können, der Polizeibeamte
       – „zu viele Dienste“ – und der Angeklagte selbst. „Vielleicht war das
       Unrecht so stark“, wird die Richterin bei der Urteilsbegründung zum
       Angeklagten sagen, „dass es zu unbequem war, in die hintersten Winkel des
       Kopfes zu steigen.“ Das mag stimmen. Und dennoch sagt es sich nach drei
       Monaten leichter als nach zwölf. Warum, fragt man sich, dauert es so lange,
       bis ein Verfahren eröffnet wird, von dem alle Beteiligten erklären, es
       solle erzieherische Wirkung haben?
       
       ## Das Gericht erkennt eine Verrohung
       
       „Es tut mir leid, was ich Ihnen angetan habe und hoffe, dass Sie mir eines
       Tages verzeihen“, sagt Yannick M. zu Philipp M., der ihn nicht ansieht.
       „Ich nehme das zur Kenntnis“, antwortet der.
       
       Dann geht alles sonderbar schnell, es ist, als würde ein Autofahrer einen
       Gang hochschalten, um rechtzeitig anzukommen. Die Flaschenwürfe sind in den
       Plädoyers eher eine Zwischenetappe. Ein Jahr und neun Monate Jugendstrafe
       auf Vorbewährung fordert die Staatsanwältin. Sein Mandant sei bei G20 „nur
       mitgetapst“, sagt M.s Anwalt, das Schwerwiegende seien die Tritte gewesen.
       Und dass man über den Vorwurf des Landfriedensbruchs streiten könne, aber
       er lässt es bleiben.
       
       Das Gericht verurteilt Yannick M. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und
       neun Monaten auf Bewährung. Es sei eine „Verrohung“ gewesen, auf den
       wehrlosen Philipp M . einzutreten, sagt die Richterin zum Angeklagten. „Sie
       müssen sich nun fragen: ,Wie ist es möglich, dass ich zu so etwas fähig
       bin?'“. Die Frage ist, wer mit hinabsteigt in den Winkel, wo die Antwort zu
       finden ist.
       
       10 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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