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       # taz.de -- Linke in der SPD: Streiter und Mittler
       
       > Früher hatten die Sozialdemokraten zwei mächtige Flügel. Heute dümpelt
       > die Parteilinke vor sich hin – großen Einfluss hat sie nicht mehr.
       
   IMG Bild: Links geht bei der SPD wenig
       
       Berlin/Ulm taz | Ganz genau lässt sich nicht rekonstruieren, von wem die
       Flügel-Metapher stammt. Die einen sagen: von Helmut Schmidt. Andere: von
       Oskar Lafontaine. Sie lautet: „Die SPD ist wie eine Möwe. Sie hat einen
       rechten und einen linken Flügel. Und sie braucht beide Flügel, um zu
       fliegen.“ Der Spruch wird in sozialdemokratischen Kreisen gern zitiert,
       wenn es um die Machtarithmetik der Partei geht. Sowohl die Linken als auch
       die Rechten sollen an der innerparteilichen Willensbildung zu gleichen
       Teilen mitwirken – und so eine starke SPD in luftige Höhen
       transportieren.taz
       
       Der linke Flügel will mehr soziale Gerechtigkeit und eine stärkere
       Umverteilungspolitik. Der rechte Flügel ist pragmatisch, seine Themen sind
       Wirtschaft, Innovationen, Zukunft der Arbeit. Die Agenda 2010 sieht er als
       großen Erfolg.
       
       Doch die Möwe SPD hat schon lange nicht mehr abgehoben. Seit acht Jahren
       dümpeln die Sozialdemokraten bei Bundestagswahlen vor sich hin. Wenn die
       Möwe SPD nicht fliegt, muss ein Flügel zu stark geworden sein – und der
       andere zu schwach. Während der rechte Flügel in Partei, Fraktion und
       Regierungsämtern die wichtigen Funktionen besetzt und Themen vorgibt,
       versinkt der linke Flügel in der Bedeutungslosigkeit.
       
       Diese Geschichte handelt von den Verlierern. Von denen, die die SPD auf
       einen sozialeren Kurs einschwören wollen, aber kaum Einfluss besitzen.
       Hilde Mattheis ist Vorsitzende des Forum Demokratische Linke (DL21), der
       größten linken Strömung in der SPD mit fast 1.000 Mitgliedern. „Mit der
       Agenda 2010 hat sich die Partei sich von der Flügelarithmetik
       verabschiedet“, sagt sie.
       
       ## Knackpunkt Agenda 2010
       
       Als Gerhard Schröder 1998 Kanzler wird, bricht er mit sozialdemokratischen
       Traditionen. Sein linker Gegenspieler Oskar Lafontaine verlässt 1999 nach
       nur fünf Monaten Schröders Kabinett und legt den Parteivorsitz nieder. Die
       Parteilinke ist mit seinem Abgang führungslos. Schröder hat freie Bahn.
       Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werden auf niedrigem Niveau
       zusammengeführt.
       
       Schröder droht mehrfach seinen Rücktritt an, sollte die SPD nicht für die
       Agenda stimmen. Abweichler werden öffentlich zum Austritt aus der Fraktion
       aufgefordert. Am Ende machen die meisten mit. Auch Hilde Mattheis stimmt
       für die Hartz-Gesetze. „Die Agenda-Abstimmung ging über ein Gesamtpaket mit
       all den positiven Errungenschaften – zum Beispiel den Ausbau von
       Ganztagsschulen und Kitas“, sagt sie heute.
       
       Doch mit der Agenda ist klar: Der rechte Flügel hat sich durchgesetzt.
       „Danach entwickelte sich ein Stück weit die Auffassung, dass der linke
       Flügel eher die vermeintlich innovativen Prozesse der Agenda behindere“,
       sagt Mattheis. Nach außen wird die Agenda als Erfolg verkauft, weil die
       Arbeitslosigkeit zurückgeht. Wer sie kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer.
       Viele Parteilinke lassen sich zum öffentlichen Schweigen verdonnern.
       
       Schröder installiert während seiner Kanzlerschaft Gefolgsleute in Partei
       und Regierung. „Es gibt in der SPD eine Clique von Beratern, die unter
       Schröder stark wurden“, sagt Marco Bülow, der als direkt gewählter
       Abgeordneter aus Dortmund im Bundestag sitzt. „Deren Agenda ist, die Partei
       von sozialen Themen wegzusteuern hin zu liberalen Innovations- und
       Wirtschaftsthemen.“
       
       Seit Schröder den Parteivorsitz übernommen hat, geht die Postenverteilung
       über bestimmte Schreibtische, heißt es in der SPD – und der linke Flügel
       wird selten bedacht. Schröders Vertraute, die sich zum Teil im Netzwerk
       Berlin zusammengeschlossen haben, sind weiter am Werk. Frank-Walter
       Steinmeier, unter Schröder Kanzleramtsminister, führte von 2009 bis 2013
       die SPD-Fraktion. Netzwerker Sigmar Gabriel war bis Anfang 2017 Parteichef.
       
       Wie weit deren Einfluss der Schröder-treuen Netzwerker geht, zeigt sich
       2009. Mit 23 Prozent holt die SPD mit Steinmeier das schlechteste
       Wahlergebnis der Nachkriegszeit. Eigentlich müsste er nun zurücktreten.
       Stattdessen kündigt er noch am Wahlabend an, er wolle die SPD-Fraktion im
       Bundestag anführen. Die Linken trauen ihren Ohren nicht.
       
       ## Streit und Shitstorm
       
       Am Dienstag darauf tagt die neue, stark dezimierte SPD-Fraktion zum ersten
       Mal. Anstatt einen eigenen Kandidaten gegen Steinmeier ins Rennen zu
       schicken, knicken die Linken ein. Man habe eben so kurzfristig keinen
       eigenen Kandidaten – und die Fraktion brauche doch einen Vorsitzenden.
       
       An diesem Mangel an Entschlossenheit scheitern die Linken oft. Marco Bülow
       hat eine Erklärung dafür. „In der SPD – und auch am linken Flügel – haben
       viele Angst vor Unruhe“, sagt er. Wenn man einen offenen Machtkampf um
       wichtige Positionen austrüge, würde die Partei darunter leiden, fürchten
       viele. „Also ordnen sie sich unter.“ Bülow thematisiert gerne die Dominanz
       des rechten Parteiflügels. Im Bundestag stimmt er häufiger gegen die eigene
       Fraktion. Der Preis dafür ist ein gewisses Außenseitertum. Obwohl Bülow
       seit 2002 im Bundestag sitzt, hat er keinen Sprecherposten.
       
       Wer die Geschlossenheit infrage stellt, zieht Zorn auf sich. Das hat
       Mattheis erfahren. Als die SPD 2013 in die Große Koalition geht, versucht
       der Parteivorstand den Linken die Regierungsbeteiligung mit dem
       vereinbarten Mindestlohn schmackhaft zu machen. Aber als er kommt, enthält
       er zahlreiche Ausnahmen, zum Beispiel für Langzeitarbeitslose. Mattheis
       kritisiert das.
       
       „Mit der Festschreibung des Mindestlohns im Koalitionsvertrag habe die SPD
       „einen roten Apfel in die Hand bekommen und jetzt zeigt sich, dass er auf
       der einen Seite verfault ist“, schreibt sie. Es folgt: ein parteiinterner
       Shitstorm, weil Mattheis ein Projekt infrage stellt, dass der linke
       Parteiflügel als eigenen Erfolg betrachtet. Arbeitsministerin Nahles, die
       ebenfalls der Parteilinken zugerechnet wird, tritt ebenso wie andere
       Parteilinken aus DL21 aus.
       
       Noch so eine Schwäche der Parteilinken: Sie ist zerstritten. Auf der einen
       Seite stehen Politiker wie Mattheis und Bülow, die eine Linke wollen, die
       sich nicht mit faulen Kompromissen begnügt. Auf der anderen Seite stehen
       Pragmatiker, die auch kleine Fortschritte suchen. Dazu gehört Matthias
       Miersch, Sprecher der „Parlamentarischen Linken“, einem Zusammenschluss
       linker Abgeordneter.
       
       ## Inhalte, aber kaum Personal
       
       Miersch gilt als Mittler, als jemand, der gute Kontakte zu allen Flügeln
       der Partei unterhält. Er sieht den eigenen Flügel innerhalb von Fraktion
       und Partei gut aufgestellt. „Die parlamentarische Linke hat mit Andrea
       Nahles und Katarina Barley prominente Ministerinnen im Bundeskabinett“,
       sagt er. Außerdem stelle man die Mehrheit der Sprecher der
       Bundestagsfraktion und die parlamentarische Geschäftsführerin. Das Problem:
       Sprecher für Politikfelder sind kaum bekannt. „Die Parlamentarische Linke
       möchte auf die Programmatik unserer Partei einwirken. Das Erhaschen von
       Posten steht nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit“, sagt Miersch. Die Linken
       gestalten das Wahlprogramm, die Praxis überlassen sie Netzwerkern: Das ist
       das Muster, mit dem die Parteilinke immer wieder verliert.
       
       2013 trat der wirtschaftsliberale Peer Steinbrück mit einem vom linken
       Flügel geprägten Parteiprogramm an. In den Koalitionsverhandlungen nach der
       Wahl führten wiederum Politiker vom Netzwerk Berlin und vom Seeheimer
       Kreis, dem rechtesten SPD-Flügel, das Wort. Jetzt soll alles anders sein:
       „Sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen, werden wir darauf achten,
       dass wir in der Verhandlungsdelegation entsprechend unserer personellen
       Stärke in der Fraktion berücksichtigt werden“, verspricht Miersch. In
       Parteikreisen wird spekuliert, dass Nahles den Fraktionsvorsitz übernehmen
       könnte, falls die SPD nach der Wahl in die Opposition muss.
       
       Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass der rechte Parteiflügel eine
       weitere Große Koalition durchsetzt, wenn die Union dazu bereit ist. In der
       Parteilinken wird spekuliert, das viele am rechten Flügel an der Großen
       Koalition festhalten wollen – am liebsten als Juniorpartner. Das habe den
       Vorteil, unpopuläre Entscheidungen auf den Koalitionspartner schieben zu
       können.
       
       Mit Martin Schulz ist wieder ein Vertreter des rechten Flügels Parteichef,
       der ehemalige Netzwerk-Sprecher Hubertus Heil wurde erneut Generalsekretär.
       Nachdem ehemalige SPD-Granden wie Steinbrück Schulz'
       Gerechtigkeitswahlkampf kritisierten, suchte dieser öffentlich die
       Versöhnung mit der Agenda-Generation und lud Gerhard Schröder zum Parteitag
       ein.
       
       Auch vor der jetzigen Bundestagswahl kam vom linken Flügel wenig. Die
       Vermögensteuer hat es nicht ins Wahlprogramm geschafft. Stattdessen soll es
       eine parteiinterne Kommission dazu geben. Eine Abkehr von Hartz IV wird
       selbst in linken Parteikreisen nicht mehr diskutiert. Die Möwe SPD bleibt
       am Boden.
       
       21 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Wimalasena
       
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