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       # taz.de -- Bundesparteitag der Grünen: Perfekt inszeniert, tief verunsichert
       
       > Nach drei Tagen der Debatte lautet die Botschaft: Wir wollen regieren,
       > wir sind keineswegs zahm. Und: Es gibt rote Linien.
       
   IMG Bild: Und dann noch ein Tänzchen zum Abschluss des Parteitages
       
       Berlin taz | Es ist schwer zu sagen, wann eine gute Inszenierung ins
       Peinliche kippt. Ist es widerständig oder albern, Donald Trump auf Twitter
       ein Foto zu schicken, auf dem junge Grüne Schilder mit „Climate First“
       hochhalten? Warum stehen kluge Bundestagskandidaten eine Stunde lang starr
       lächelnd auf der Bühne hinter ihrem Spitzenkandidaten herum? Müssen
       Politiker auf offener Bühne zu Nena tanzen?
       
       Drei Tage lang, bis Sonntag, tagten 750 Delegierte der Ökopartei im
       Berliner Velodrom, einer unterirdisch angelegten Halle mit viel Beton. Es
       ging um viel: Die Grünen dümpeln bei Umfragen um 7 Prozent, sie haben sich
       bis heute nicht davon erholt, dass ihnen wegen Martin Schulz die Wähler
       wegliefen. Drei Monate vor der Wahl ist der Parteitag vielleicht die letzte
       Gelegenheit, den Trend zu drehen.
       
       Und, das vorab, die Grünen lieferten den Medien eine professionelle,
       US-amerikanisch anmutende Politshow. Sie fassten Beschlüsse, die Idealismus
       und Vernunft sorgfältig austarieren. Die Reden ihrer Spitzenkandidaten
       Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir strotzten vor Angriffslust. Alle
       namhaften Protagonisten der beiden Parteiflügel demonstrierten eine fast
       befremdliche Geschlossenheit.
       
       Unter der perfekten Inszenierung jedoch lag eine tiefe Verunsicherung.
       „Alle sind hypernervös“, sagt eine Abgeordnete.
       
       Vordergründig läuft alles nach Plan. Die Grünen bleiben offen für alle
       Koalitionen, sie folgen also dem taktischen Kurs Göring-Eckardts und
       Özdemirs. Ein Delegierter, der am Sonntag unheilschwanger „C.S.U.“ ins
       Mikrofon raunt, erntet dürftigen Beifall. Reinhard Bütikofer, Chef der
       Europa-Grünen, walzt den Bedenkenträger nieder. „Lasst uns diesen Haufen,
       der sich CSU nennt, nicht größer machen, als er ist“, ruft er.
       
       ## Futter für die Kameras
       
       Die Grünen, so die Botschaft, wollen regieren, und sie setzen voll auf ihre
       Inhalte. Außerdem tun sie alles dafür, den Eindruck auszuräumen, die
       Ökopartei sei ein Haufen zahmer Langeweiler. Der beste Beleg: Özdemir und
       Göring-Eckardt, denen große Sympathie für Schwarz-Grün nachgesagt wird,
       arbeiteten sich auffällig stark an Kanzlerin Angela Merkel ab.
       
       Özdemir hat seinen Auftritt am Freitagabend, alles sieht aus wie bei einem
       Townhall-Meeting in den USA. „Roar“ von Katy Perry dröhnt durch die Halle.
       Özdemir trägt ein Headset, er spricht frei, vor sich zwei gläserne
       Teleprompter. Hinter ihm haben sich alle Bundestagskandidaten aufgestellt,
       sie rahmen den Spitzenmann ein, Futter für die Kameras.
       
       Den Delegierten gefällt’s. Özdemir punktet mit seiner Aufsteigerbiografie
       und erzählt, wie ihn bei einem Schüleraustausch mal belgische Beamte im Zug
       herauspickten, weil sein türkischer Pass kein Durchreisevisum hatte. Immer
       wieder gibt er Merkel einen mit. Wer beim Klimaschutz auf sie vertraue,
       könne sich gleich eine Schwimmweste kaufen, ruft er. Die Grünen stünden in
       Europa für Respekt und Solidarität, „schulmeisterlicher Drill aus Berlin“
       mache den Erfolg von Ländern wie Italien oder Griechenland nicht
       wahrscheinlicher.
       
       Auch Göring-Eckardt gibt sich für ihre Verhältnisse maximal kämpferisch.
       Sie erinnert zuerst an ihre Biografie, an den Braunkohlegestank in
       Bitterfeld, der nach Unfreiheit rieche. Merkel regiere jetzt knapp 12
       Jahre. „Und was ist fürs Klima rausgekommen? Blockade. Blockade für die
       Erneuerbaren, Blockade beim Kohleausstieg, Blockade beim E-Auto.“
       
       Göring-Eckardt betont stärker als Özdemir soziale Themen und die
       Flüchtlingspolitik. Sie habe das mit dem Christentum so verstanden, „dass
       Nächstenliebe keine Obergrenze hat“, ruft sie. Die Grünen seien die
       „letzten Mohikaner der Willkommenkultur“.
       
       ## „Ortsvereinsvorsitzende der CDU“
       
       Der Klimaschutz ist das Topthema für die Grünen, und Özdemir macht seiner
       Partei ein Versprechen: Er und seine Kospitzenkandidatin würden keinen
       Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht die Regeln des Klimaschutzes
       festgelegt würden, ruft er in den Jubel. „Und Klimaschutz heißt dann nun
       einmal Kohleausstieg, sonst ist es kein Klimaschutz.“ Das ist die
       wichtigste Bedingung der Grünen für künftige Koalitionen.
       
       Aber es gibt Momente, die zeigen, wie brüchig das Eis ist. Canan Bayram,
       die Nachfolgerin von Christian Ströbele im Berliner Bezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg, erzählt am Freitag am Rednerpult eine Anekdote:
       Eine Rentnerin habe ihr erzählt, die Spitzenkandidaten erinnerten „an
       Ortsvereinsvorsitzende der CDU“. Sie bekommt etwas Applaus – und wird von
       Parteitagsregisseur Michael Kellner niedergebrüllt.
       
       Wenig später beginnt die Diskussion über die Präambel. Dieser Text, der dem
       Programm vorangestellt ist, wurde maßgeblich von beiden Spitzenleuten
       formuliert. Da stehe, kritisiert die Kreisvorsitzende aus Gelsenkirchen,
       für „andere Ziele“ gebe es andere Parteien. Das sei kindisch, so was extra
       zu betonen, argumentiert die Gelsenkirchnerin.
       
       Plötzlich Tuscheln in den Delegiertenreihen. Spitzenkandidatin
       Göring-Eckardt redet persönlich dagegen – und verliert. Kawumm. Nach diesem
       Blitzeinschlag, das berichten mehrere Grüne, wächst auf wundersame Weise
       die Bereitschaft des Vorstands, Basisforderungen zu übernehmen.
       
       ## Ehe für alle wird Bedingung
       
       Es gibt sie ja, die Unzufriedenen, man findet sie im linken Flügel. Eine
       Abgeordnete schaut lange ins Leere, wenn man sie nach dem Spitzenduo fragt.
       Ein anderer Linksgrüner kann minutenlang erklären, warum sich in der
       Opposition gemeinsam mit sozialen Bewegungen viel erreichen lässt. Diese
       Option müsse stärker betont werden. Ein Dritter sagt, etwas resigniert:
       „Das ist wie in einem Auto auf der Autobahn. Da greifst du dem Fahrer auch
       nicht ins Lenkrad.“
       
       An vielen Stellen schaffen es bei diesem Parteitag kantige Anliegen ins
       Programm – damit Kampfabstimmungen vermieden werden. Der aus dem Bundestag
       scheidende Abgeordnete Volker Beck landete einen kleinen Coup, indem er die
       Ehe für alle als verbindliche Koalitionsbedingung ins Programm drückt.
       
       Zwei harte Jahreszahlen zu Kohleausstieg und Verbrennungsmotoren landeten
       doch noch im Zehn-Punkte-Plan, obwohl Özdemir und Göring-Eckardt darauf
       verzichten wollten. Dazu Özdemirs Versprechen beim Kohleausstieg –
       plötzlich gibt es doch rote Linien für die Grünen.
       
       18 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
   DIR Laura Weigele
       
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