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       # taz.de -- Grüne Spitzenkandidatin über ihre Ziele: „Ich finde Merkel nicht gut“
       
       > Katrin Göring-Eckardt soll die Grünen zum Regieren bringen – fast egal,
       > mit wem. Ein Gespräch über Vorurteile, Koalitionen und die Krise der
       > Partei.
       
   IMG Bild: Was will Katrin Göring-Eckardts (l.) Fingerzeig der Kanzlerin wohl bedeuten?
       
       taz: Frau Göring-Eckardt, was ist das absolut Wildeste, was Sie jemals
       gemacht haben? 
       
       Katrin Göring-Eckardt: Ich fuhr am Tag des Mauerfalls nicht in den Westen,
       sondern in die entgegengesetzte Richtung. Weil dort die Demo stattfand, die
       die Revolution weiterführen sollte. Das fanden andere damals wild.
       
       Das war jetzt nur eine politische Anekdote. 
       
       Am 1. Januar bei minus zehn Grad in der Ostsee gebadet. Wild genug?
       
       Sie werden in Zeitungen im Moment als zahm, angepasst und langweilig
       beschrieben … 
       
       Och nee …
       
       … so wie die Grünen insgesamt. Empfinden Sie solche Vorwürfe als unfair? 
       
       Andersherum gesagt: Erfahrung, Professionalität, Steherqualitäten und
       Verzicht auf Hallodritum sind in einem Wahlkampf nichts Schlechtes. Dafür
       geht es um zu viel.
       
       Aber braucht eine wichtige Grüne nicht auch ein bisschen Rock ’n’ Roll?
       
       Ich bin mit solchen Klischees vorsichtig. Joschka Fischer hat sich ja mal
       als letzten der Politik bezeichnet. Als er das sagte, war er ein Vollprofi,
       der als Außenminister im Dreiteiler um die Welt geflogen war. War er noch
       Rock’n’ Roller? Ich kann immerhin noch Rock’n’ Roll mit Überschlag – also
       in echt.
       
       Wie panzern Sie sich gegen Anwürfe – und bleiben trotzdem durchlässig? 
       
       Ich versuche, bei mir zu bleiben. Ich mache bestimmte Sachen nicht mehr.
       
       Glaubt man den Umfragen, stecken die Grünen in einer Dauerkrise. Warum ist
       das so? 
       
       Da war zum einen der Schulz-Hype. Ich verstehe, dass Martin Schulz anfangs
       viele Menschen begeistert hat. Das ist wie bei einer neuen Band. Das wirkte
       frisch, selbstbewusst, interessant. Aber wenn man dann die Lieder ein paar
       Mal im Radio gehört hat, merkt man, wie schlecht die Texte sind und wie
       gewöhnlich der Sound.
       
       Das Problem ist doch: Die Schulz-SPD ist längst wieder out. Aber die grüne
       Band spielt trotzdem vor einer halbleeren Halle. 
       
       Ich glaube, unsere Wählerinnen und Wähler wollen zurückerobert werden. Nach
       einer Beziehungskrise macht man ja auch nicht einfach weiter wie bisher.
       Wir haben nach wie vor eine gute Chance, am 24. September im deutlich
       zweistelligen Bereich zu landen.
       
       Ihr erklärtes Ziel war, ökoaffine, bürgerliche Milieus zu binden, die sonst
       Merkel wählen. Wieso geht das so komplett schief? 
       
       Warten Sie es ab, abgerechnet wird am Schluss. Ich glaube, ein wichtiger
       Grund für unsere derzeitige Wahrnehmung ist, dass uns bei Fragen der
       Inneren Sicherheit keine Ernsthaftigkeit zugetraut wird. Und das, obwohl
       wir schon vor Jahren unser Verhältnis zum Staat und zur Polizei neu
       ausgerichtet haben. Unsere Landesregierungen stellen Tausende Polizisten
       neu ein. Die Grünen stehen für eine effektive Sicherheitspolitik – dazu
       gehört es, die individuellen Freiheitsrechte zu verteidigen. Nur ist das
       leider nicht bei allen angekommen.
       
       Bezweifelt ernsthaft jemand, dass Sie die Polizei gut finden? Als Ihre
       Parteichefin nach Silvester kritisch fragte, warum in Köln Tatverdächtige
       nach äußeren Merkmalen sortiert wurden, wurde sie von Parteifreunden fast
       gesteinigt. 
       
       Die Aussage von Simone hat genau da rein gehauen, weil sie ein unwahres
       Klischee scheinbar bestätigte: Die Grünen sind für Frauenrechte, aber
       wenn arme Flüchtlinge die Täter sind, sehen die das nicht so eng. Weil das
       nicht stimmt, hat sie es ja auch selbst korrigiert.
       
       Glauben kluge Wähler solche Diffamierungen der Bild-Zeitung? 
       
       Wenn ich im Land unterwegs bin, fragen mich Lokalreporter bis heute: Wie
       steht ihr angesichts des Terrors und der Flüchtlinge zur Polizei? Viele
       Menschen denken – ich spitze etwas zu –, dass Katrin Göring-Eckardt immer
       noch gegen den bösen Bullenstaat protestiert wie im Westdeutschland der
       70er- und 80er-Jahre. Absurd.
       
       Müssen die Grünen nicht eher linker werden, um an Profil zu gewinnen? Das
       sagt Robert Habeck mit Blick auf ein Jamaika-Bündnis. 
       
       Ich glaube nicht, dass unsere Wähler uns noch auf der Links-Rechts-Skala
       vermessen. Bei Schwarz-Grün hätten wir naturgemäß den linken Part, für mehr
       Gerechtigkeit zu sorgen. Bei Rot-Rot-Grün aber sind wir die Bürgerlichen.
       In Thüringen verteidigen die Grünen zum Beispiel die freien Schulen gegen
       SPD und Linke.
       
       Viele Leute finden Klimaschutz wichtig, kaufen Bio, trennen Müll – und
       fliegen dann zwei Mal im Jahr nach Gomera. Dafür schlüssige Politik
       anzubieten, ist nicht einfach, oder? 
       
       Ich kann diese Widersprüchlichkeit gut verstehen. Meine CO2-Bilanz ist
       miserabel, und sie wäre es wohl auch, wenn ich nicht eine viel reisende
       Politikerin wäre. Bei der Klimafrage kommt es aber schon längst nicht mehr
       nur auf den persönlichen Konsum an. Entscheidend sind die
       Strukturveränderungen im System.
       
       Das ist die Kretschmann-Logik: Die Deutschen mögen keinen Verzicht, deshalb
       lässt die Politik besser die Finger davon. 
       
       Selbst wenn jeder Deutsche nur einmal pro Woche ein Schnitzel äße, wäre das
       Klima doch nicht gerettet. Entscheidend ist, dass Deutschland aus der Kohle
       aussteigt. Dafür muss der Staat handeln, es geht um Strukturen. Wenn wir
       regieren, schalten wir die zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort ab.
       Das sagen wir in unserem Zehn-Punkte-Plan für eine Regierung verbindlich
       zu. Im September geht es um eine existentielle Entscheidung: Kommt ein
       ‚Weiter so‘, bei dem das Klima verliert? Oder kommt eine ökologische Wende
       mit starken Grünen?
       
       In dem Zehn-Punkte-Plan fehlen die harten Jahreszahlen für Klimaziele, die
       in Ihrem Programm stehen. Ein sanfter Wink für Merkel? 
       
       Nein. Zahlenhuberei ist kein Beleg für Verbindlichkeit.
       
       Mit harten Ansagen bekommen Sie mehr in Koalitionsverhandlungen. 
       
       Wir werden in Koalitionsverhandlungen darauf achten, dass Deutschland die
       im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Ziele einhält. Das ist
       verbindlicher als jede Zahl. Ob der letzte Kohlemeiler ein paar Jahre
       später oder früher abgeschaltet wird, ist dann nicht entscheidend.
       
       Wirken die Grünen deshalb so zahm, weil Sie Merkel eigentlich ziemlich gut
       finden? 
       
       Ich finde Merkel nicht gut. Sie hat den Ausbau der Erneuerbaren Energien
       gedeckelt und den Kohleausstieg vergeigt. Sie ignoriert die Einhaltung der
       deutschen CO2-Ziele und hat noch kein Wort zu dem Diesel-Abgasskandal
       verloren. Was soll ich daran gut finden?
       
       Merkel gilt neuerdings als Klimaretterin, die sich Trump in den Weg stellt. 
       
       Ich bin sicher: Merkel wird in Deutschland nicht mehr als Klimakanzlerin
       wahrgenommen oder gewählt werden. Dafür hat sie zu viele Probleme
       ausgesessen – mit dramatischen Folgen. Nachdem Trump angekündigt hat, aus
       dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, hat Merkels Kanzleramtschef
       getönt, jetzt sei es Zeit zu handeln. Da habe ich zu Hause überlegt, was
       ich gegen den Fernseher schmeißen könnte. Wir erleben die alte Merkel.
       Reden, aber nichts tun.
       
       Ist Trumps Ansage, Paris aufzukündigen, eine Chance für die Grünen? 
       
       Ich spüre an unserer Basis und bei vielen anderen eine neue Energie. Viele
       dachten ja, das werde schon werden mit dem Klimaschutz. Diese
       Selbstverständlichkeit ist weg. Trump hat unterschätzt, welche
       Gegenbewegungen er auslöst. Wir brauchen neue Partner in der Klimapolitik,
       Trump muss isoliert werden. Warum keine Klimaverträge mit einzelnen
       US-Bundesstaaten abschließen? Da höre ich nichts von der Bundesregierung.
       
       Eine Jamaika-Koalition ist im Moment Ihre einzige Machtoption. Die Grünen
       als Gamechanger, die eine neue Groko verhindern – wie klingt das? 
       
       Von mir werden Sie keine Sympathiebekundung für irgendeine Koalition hören.
       Beim Klimaschutz, dem entscheidenden Thema, tun sich SPD und CDU nicht
       viel. Mit beiden wäre es sehr schwierig, mit der FDP sowieso. Wir gehen zum
       ersten Mal überhaupt offen in einen Bundestagswahlkampf – und machen uns
       von keiner anderen Partei abhängig.
       
       Manche Linksgrüne glauben, Jamaika bedrohe die Partei in ihrer Existenz. 
       
       Die Grünen werden an keiner Koalition sterben. Im Übrigen gilt: Wenn wir
       nicht genug Inhalte durchbekommen, lassen wir es.
       
       Wie lässt sich mit Union und FDP ein produktiver Beitrag zur ökologischen
       Wende vereinbaren? Mir fehlt da die Fantasie. 
       
       Fantasie hab ich auch nicht im Angebot, eher Entschlossenheit. Das Pariser
       Klimaschutzabkommen setzt die Leitplanken für Deutschland. Merkel hat ihre
       Wilhelmine darunter gesetzt. In der nächsten Legislaturperiode braucht es
       einen nationalen Umsetzungsplan.
       
       Kommen Sie gut mit Christian Lindner aus? 
       
       Wir haben ein gutes und professionelles Verhältnis. Aber politisch ist mir
       diese One-Man-Show sehr fremd. Mit seinem Hobby, 230 auf der Autobahn zu
       fahren, kann ich nicht viel anfangen.
       
       13 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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