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       # taz.de -- Netflix-Serie über Suizid: Gefährliche Identifikation
       
       > Die Netflix-Serie „13 Reasons Why“ erzählt vom Suizid einer Schülerin –
       > und erntet dafür Kritik. Kann Popkultur über Selbsttötung aufklären?
       
   IMG Bild: Hannah (Katherine Langford) ist hübsch, frech, ein bisschen schüchtern – ein Vorbild?
       
       Fast könnte es ein harmloses Highschool-Drama sein: Hannah Baker ist die
       Neue in der Schule, sucht Freund*innen und die erste große Liebe. Doch
       eines unterscheidet die Netflix-Serie „13 Reasons Why“ vom Altbekannten:
       Hannah Baker ist tot. Sie hat Suizid begangen. Vor ihrem Tod hat Hannah
       Kassetten aufgenommen, auf denen sie ihre Tat begründet. Die Geschichte
       folgt Hannahs Freund Clay, der sich die Kassetten anhört. Durch Hannahs
       Stimme und Rückblenden werden die Geschehnisse erzählt.
       
       Jugendschützer*innen kritisieren die Miniserie, die auf Deutsch unter dem
       Titel „Tote Mädchen lügen nicht“ seit Ende März bei Netflix verfügbar ist.
       In den USA und in Australien haben Gesundheitsorganisationen vor der
       Serie gewarnt. Sie befürchten Nachahmungstaten, zum einen wegen einer
       Szene, in der Hannahs Selbsttötung explizit dargestellt wird. Zum anderen
       weil sich suizidgefährdete Jugendliche mit der sympathischen Protagonistin
       identifizieren könnten.
       
       Hannah ist hübsch, frech, ein bisschen schüchtern. In ihren Wünschen und
       Gedanken spiegelt sie wider, was etliche junge Mädchen während der Pubertät
       erleben: Unsicherheit und die Sehnsucht nach Anerkennung. Die
       Zuschauer*innen sehen Hannahs Sicht auf die Welt und sind ihr nah.
       
       Zu Beginn mag man noch denken, dass das, was sie erlebt, nicht so schlimm
       ist. Ein verschicktes Foto, ein paar Hänseleien, zerbrochene Freundschaft.
       Doch das ändert sich von Folge zu Folge. Was Hannah passiert, ist heftig:
       Mobbing, Gewalt, Schuldgefühle. Die Serie könnte Jugendlichen suggerieren,
       dass Hannahs Suizid ein Ausweg wäre – und das ist gefährlich.
       
       „Werther-Effekt“ heißt der angenommene Zusammenhang zwischen medialer
       Darstellung von Suizid und einer Häufung von Selbsttötungen, nach Goethes
       Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ von 1774. Wegen einer unerwiderten
       Liebe tötet sich dessen Hauptfigur selbst. Daraufhin, so der Mythos, hätten
       sich viele unglückliche Verliebte ebenfalls das Leben genommen.
       
       „In der Forschung besteht kein Zweifel, dass es diesen Effekt gibt“, sagt
       Dr. Sebastian Scherr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
       Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der
       Ludwig-Maximilians-Universität München. Scherr erforscht seit Jahren
       Zusammenhänge zwischen Depression, Medien und Suizid und hat darüber
       promoviert. „Die Wirkung von Darstellungen auf suizidale Personen ist nicht
       immer gleich“, sagt er, „doch Berichte über Selbstmorde können ein Trigger
       sein.“
       
       Die Macher*innen der Serie verteidigen sich: Suizid müsse thematisiert
       werden, auch unter Jugendlichen. In einem Videostatement erklärt Jay Asher,
       Autor der Romanvorlage: „Suizid ist ein unangenehmes Gesprächsthema, aber
       er passiert. Also müssen wir darüber reden.“ Für die explizite Darstellung
       der Selbsttötung habe man sich entschieden, um zu zeigen, dass Selbstmord
       eine brutale und schmerzhafte Angelegenheit ist. Man wolle Betroffene
       abschrecken und Menschen dafür sensibilisieren, auf Warnzeichen zu achten.
       Sie sehen nicht die Gefahr einer Nachahmung, sondern vor allem die Chance
       für Aufklärung im Mittelpunkt der Rezeption.
       
       ## Suizid als logischer Ausweg
       
       „Suizide sachlich zu thematisieren ist wichtig“, sagt Scherr. „Filme
       transportieren oft das Bild des Wahnsinnigen, der sich umbringt, oder
       romantisieren den Suizid. Beides ist nicht gut.“ Er sieht an anderer Stelle
       Schwierigkeiten: „Es sollten dabei unbedingt auch Hilfsmöglichkeiten
       genannt werden.“ Das wird in der Serie am Rande thematisiert:
       Mitschüler*innen hängen Plakate auf, es werden Warnsignale besprochen.
       
       Einen Schulpsychologen gibt es auch. Doch ausgerechnet der versagt. „Er
       geht nicht angemessen auf Hannah ein. Das erweckt den Eindruck, dass einem
       kein Verständnis entgegengebracht wird, wenn man sich jemandem öffnet. Ein
       Betroffener könnte also den Schluss daraus ziehen, dass er es gar nicht
       versuchen muss.“
       
       Suizidgefährdete haben häufig einen sogenannten verengten Blick. Sie nehmen
       Hinweise stärker wahr, die den Suizid als Lösung suggerieren. „Man kann
       sich das wie einen Tunnel vorstellen“, sagt Scherr. „Alles, was man sieht,
       hört, fühlt, führt zu einer Konsequenz.“ Wer einen solchen Tunnelblick hat,
       könnte Hannahs Tat als logischen Ausweg interpretieren und die anderen
       Botschaften der Serie gar nicht mehr wahrnehmen.
       
       Doch während einerseits Vorsicht angebracht ist, birgt die Serie auch
       Chancen. Sie thematisiert soziale Probleme an Schulen und zeigt auf,
       welche Strukturen dahinterstehen. Eindrucksvoll zeigt sie, wie
       vermeintlich harmlose Äußerungen und Taten bei jemandem zu Verzweiflung und
       Isolation führen können.
       
       Und immerhin: Neben dem „Werther-Effekt“ spricht man auch vom
       „Papageno-Effekt“, benannt nach dem Vogelfänger aus Mozarts „Zauberflöte“,
       der Selbstmordgedanken hegt, doch durch drei Knaben davon abgehalten wird.
       Auch das können Erzählungen bewirken.
       
       Hinweis: Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem.
       Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0
       111 oder 08 00/111 0 222) oder [1][www.telefonseelsorge.de] besuchen.
       
       4 May 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.telefonseelsorge.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maike Brülls
       
       ## TAGS
       
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