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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ach, die. Pffff!
       
       > Wie schlimm steht es um die Bundesgrünen wirklich? Am Ende entscheidet
       > sich deren Zukunft in Schleswig-Holstein: Robert Habeck muss die Wahl
       > gewinnen.
       
   IMG Bild: Robert Habeck bei der Messe „New Energy“ in Husum
       
       Man kann die Frage für albern, selbstgefällig und infam-strategisch halten,
       „wozu“ es die Grünen „eigentlich“ noch brauche. Und häufig wird sie auch in
       diesen Modi gestellt. Gern auch aus persönlicher Beleidigtheit oder
       medial-kultureller Gelangtweiltheit heraus („Ach, die. Pffff.“). Aber da
       genau dieses Gefühl die Medienrealität mitprägt, ist es andererseits in
       seiner Ignoranz eben doch hochpolitisch.
       
       Oft sind es dieselben Kritiker, die sesselpupsend beklagen, die Grünen
       seien „saturiert“, total angepasst und wollten brutal alles verbieten,
       machten nicht genug Öko, sondern nur noch Gerechtigkeit oder nur noch Öko
       und überhaupt keine Gerechtigkeit.
       
       Und jeder Superchecker, der einem monatelang erzählt hat, dass Parteichef
       Cem Özdemir der richtige Spitzenkandidat für diese Zeit sei, knurrt nun,
       dass sie Schleswig-Holsteins in der „Urwahl“ um 75 Stimmen unterlegenen
       Vize-Ministerpräsidenten Robert Habeck hätten nehmen müssen, das sei ihm
       „völlig klar“. Ja, jetzt schon.
       
       Grundsätzlich prangere ich diese Einteilung in „neue Gesichter“ und „alte
       Gesichter“ als nicht human an. Wie soll Spitzenkandidatin Katrin
       Göring-Eckardt mit dem Vorwurf umgehen, sie trage ein altes Gesicht zur
       Wahl? Nur weil sie superjung supererfolgreich war. Ein anderer Kandidat
       sieht aus wie der letzte Überlebende des SPD-Ortsverbandes Würzelbürz. Und
       dieses Gesicht soll neu und superhip sein?
       
       ## Geistiger Kurzschluss
       
       Der dahinterstehende geistige Kurzschluss erklärt dann auch noch alle
       Bürger für bescheuert und desavouiert die wahre Ressource menschlicher und
       politischer Verbindungen: Vertrauen. Man vertraut Politikern ein Land an,
       weil man sie kennt oder das zumindest hofft. Merkel. Kretschmann. Dreyer.
       Heinold. Habeck. Aber doch nicht, weil man sie nicht kennt.
       
       Objektiv betrachtet steht es außer Frage, dass es ein, zwei, viele Parteien
       braucht, die die sozialökologische und auch digitale Wende voranbringen –
       ein Gerechtigkeits-, Sicherheits-, Freiheits-, Emanzipations- und
       Kulturprojekt, wie es noch keines gab in der Geschichte der Bundesrepublik.
       Und die dabei die europäische Gesellschaft zusammenhalten, und die
       Weltgesellschaft gleich auch noch.
       
       Kleiner hat es die Gegenwart leider nicht.
       
       Eine politische Gerechtigkeitserzählung muss von einem steigenden
       Meeresspiegel her gedacht werden und nicht von einem steigenden
       Mindestlohn. Wer jetzt im Classic-Rock-Sound („Das beste der 70er, 80er und
       90er“) von den „hart arbeitenden Menschen“ croont, der versucht immerhin,
       eine Vertrauensbasis herzustellen. Aber er betoniert auch die Irrealität.
       
       In der Grünen sozialökologischen Politik und auch in ihren liberalen
       Lebensstilen steckt – meine Unterstellung – potentiell Zukunftsgesellschaft
       und wohl mehr, als was die dauernostalgische SPD sich mit ihrer
       Ralf-Stegner-Kultur zusammenreimt. Aber weil die Bundesgrünen sind, wie sie
       sind (derzeit nicht wahlkampfbereit), kann es sein, dass wir niemals
       erfahren werden, ob sie tatsächlich in der Lage wären, führende Kraft
       dieser Transformation zu werden.
       
       Ach, abwarten, sagen mir Spitzengrüne, das sei alles überhitzt. Maybe. Aber
       um sicher zu gehen, wäre ein Sofortmaßnahmen-Programm gegen den
       Stimmungstrend hilfreich, mit dem Momente der Veränderung geschaffen und
       dann inszeniert werden – und eben nicht vergeigt. Doch zunächst muss Mitte
       Mai etwas passieren, das man definitiv nicht in Berlin beschließen kann.
       Aber vielleicht ja auch nicht verhindern. Es scheint ironisch, dabei ist es
       von einer bestechenden Logik, dass die Zukunft der Bundesgrünen jetzt von
       einem abhängt.
       
       Robert Habeck muss die Wahl in Schleswig-Holstein gewinnen.
       
       1 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Gaus
       
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