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       # taz.de -- Die Wahrheit: Tierischer Rausch
       
       > Biologie und Komik: Die 28. Folge unserer Serie „Die lustige Tierwelt und
       > ihre ernste Erforschung“ beschäftigt sich mit animalischen Drogen.
       
   IMG Bild: Auch Elefanten können an der Flasche hängen, wenn denn Vergorenes oder Wodka im Wasser ist
       
       Madame Blavatsky, die Begründerin der Theosophie, berichtete 1885 aus
       Indien: „Das erste, was einem in Bombay auffällt, sind die Millionen Krähen
       und Geier … Der schreckliche Krach, den die Krähen sogar nachts machen, ist
       einem erst unheimlich, aber dann kommt man dahinter, dass alle Zuckerpalmen
       und Kokospalmen in und um Bombay herum von der Regierung verpachtet werden.
       Man zapft sie an und hängt ausgehöhlte Kürbisse an die Stämme. Der Saft,
       der dort rein fließt, fermentiert und wird zu einem berauschenden Getränk:
       Toddy – Palmwein, den man zu Rum weiterverarbeiten kann. Die Kürbisse
       werden zwar von ‚toddy-Walas‘ regelmäßig gelehrt, aber da die Krähen in den
       Palmen ihre Nester haben, trinken sie natürlich immer wieder davon. Mit dem
       Ergebnis, dass diese lärmenden Vögel ständig berauscht sind. Wenn sie in
       unserem Garten auf einem Bein um uns herum tanzten, hatten diese
       betrunkenen Vögel definitiv etwas Menschliches und einen schelmischen
       Ausdruck in ihren listigen Augen.“
       
       Auf der nördlichen Halbkugel ermöglichen andere Drogen eine
       Bewusstseinserweiterung (vulgo: Realitätsflucht): Rentiere zum Beispiel
       „fressen schon seit ewigen Zeiten Magic Mushrooms. Im Winter graben sie
       gezielt unter der Schneedecke nach Fliegenpilzen, die ähnliche
       Halluzinationen wie LSD hervorrufen. In Folge kommen die Tiere ins
       Schwanken und geben seltsame Geräusche von sich“, schreibt die Bild-Zeitung
       in ihrem Artikel „So suchen Tiere den Drogen-Kick.“
       
       Seitdem 2002 eine Fallsammlung des italienischen Ethnobotanikers Giorgio
       Samorini auf Deutsch erschien, wird in der Presse immer mal wieder darüber
       berichtet, wobei die Frage, was die Tiere von den Psychodrogen haben,
       stillschweigend als durch den menschlichen Drogenkonsum hinlänglich bekannt
       vorausgesetzt wird, vor allem, wenn es um Alkohol geht.
       
       ## Verzehr vergorener Früchte
       
       So berichtete beispielsweise die Direktorin des Zoos von Kiew, dass ihren
       Elefanten das Trinkwasser jetzt im Winter mit Wodka „zum innerlichen
       Aufwärmen“ versetzt wird, und das schon seit Langem, es würde ihnen gut
       tun. Aus dem südafrikanischen Dokumentarfilm „Die lustige Welt der Tiere“
       kennt man die Passage, in der nach dem Verzehr vergorener Früchte nahezu
       alle größeren Tiere betrunken durch den Urwald torkelten. Neuerdings macht
       der Biologe Mario Ludwig mit dem Thema „Tiere und Alkohol“ von sich reden
       (Als ich zur Uni ging, war übrigens noch von „Frauen und Alkohol“ die Rede
       – und das nicht in Bio, sondern in Gewi. Wie die Zeit vergeht!). Der
       Biologe erzählt uns nun – auf n-tv – von Kängurus, Wallabies und
       australischen Schafherden, die in Mohnpflanzungen einbrechen, um sich an
       den „Morphinen und Opiaten“ der Mohnkapseln zu berauschen.
       
       Gut kommen auch immer Drogengeschichten mit Delfinen: Eine erzählt der
       Spiegel schon seit Jahrzehnten: In der Forschungsstation Dolphin House der
       Bewusstseinsforscher Gregory Bateson und John C. Lilly arbeitete die
       Tierpflegerin Margaret Lovatt, deren Zimmer im Pfahlhaus mit Geldern der
       US-Marine so tief ins Wasser gelegt wurde, dass der Delfin „Peter“ sie dort
       besuchen konnte. Dazu kam noch LSD ins Spiel, der Spiegel schreibt: „Sex,
       Drogen und Meeressäuger: Tag und Nacht lebte sie 1964 mit ihm zusammen, um
       ihm Englisch beizubringen. Doch der hatte nur das Eine im Sinn – und sie
       ließ ihn gewähren.“ Professor Lilly verabreichte dann auch einem Delfin LSD
       – aber bei dem wirkte die Droge nicht: „Damit stand das Projekt vor dem
       Aus,“ schlussfolgert der Spiegel messerscharf – aber falsch.
       
       Von sich aus nehmen frei lebende Delfine andere Drogen: Sie quälen zum
       Beispiel einen Kugelfisch so lange bis er sein Gift – Tetrodotoxin –
       absondert, von diesem „Nervengift bedröhnt, schweben die Delfine träge
       unter der Wasseroberfläche“, wie die Daily Mail schreibt, die dazu den
       Zoologen Rob Pilley interviewte: „Es ist ein ganz ähnliches Verhalten wie
       das von Drogenkonsumenten, die das Gift von bestimmten Krötenarten lecken,
       um sich zu berauschen“, meinte er.
       
       ## Schleim mit halluzinogenen Substanzen
       
       Zu einer Kunstveranstaltung auf der Festung Küstrin, die 2004 von der
       polnischen Künstlergruppe Urbanart organisiert wurde, gehörte eine Arbeit,
       die dieses Gift thematisierte, denn in einem kleinen Nachkriegs-Sumpf dort
       lebt diese Krötenart, deren „Schleim halluzinogene Substanzen enthält“, wie
       der Künstler mitteilte, der die Substanzen mit Wasser verdünnt anbot. Allzu
       sehr verdünnt, wie ich im Namen der Probierer hinzufügen möchte.
       
       Mario Ludwig ist zuzustimmen: „Die Drogenforschung bei Tieren steckt noch
       in den Kinderschuhen.“ Bei seiner Delfingeschichte beruft er sich auf eine
       Dokumentation von Rob Pilley: Einmal seien Delfine dabei gefilmt worden,
       wie sie einen Kugelfisch malträtierten, ihn „wie einen Joint“ herumgehen
       ließen. „Erstaunlicherweise machen das aber nur junge, männliche Delfine.“
       
       Wird da nun das Tier von ihm hemmungslos vermenschlicht oder der Mensch
       vertierlicht? Egal. Wie jeder weiß, verwischen sich die Grenzen beim
       Drogenkonsum. Die Mykologen der Johns-Hopkins-Universität sprechen von
       einer gewissen „Offenheit“ – hervorgerufen durch die Einnahme von „Magic
       Mushrooms“. Dieser Zustand überraschte meinen Freund Anselm, als er im Mai
       2002 gedankenverloren über eine Langgraswiese im Berliner Tiergarten ging.
       Plötzlich kam ihm zum Bewusstsein, dass er mit jedem Schritt Dutzende
       Lebewesen zertrat. Entsetzt blieb er stehen – und rührte sich nicht mehr:
       Bis die LSD-Wirkung nachließ und er wieder einigermaßen normal
       „verschlossen“ war.
       
       Eine solche „Öffnung“ gilt nicht für alle Drogen – manche haben sogar die
       entgegengesetzte Wirkung: Alkohol beispielsweise. Der Konsum von Alkohol in
       Form von vergorenen Beeren sei im Tierreich gang und gäbe, meint
       „Deutschlands Experte für alles Tierische“, wie Dr. Mario Ludwig sich auf
       seiner Internetseite nennt. Szenen wie in Astrid Lindgrens Kinderbuch
       „Michel aus Lönneberga“, wo Haustiere nach dem Verzehr von verdorbenen
       Kirschen betrunken über den Hof torkeln, seien keineswegs Fiktion.
       
       ## Igel mit massivem Alkoholproblem
       
       „Ein massives Alkoholproblem“ haben nach seinen Worten besonders die Igel.
       Der Grund seien die vielen sogenannten Bierfallen, mit denen Hobbygärtner
       ihre Blumen- und Gemüsebeete schützten. Eigentlich sollten die mit Bier
       gefüllten Becher Nacktschnecken anlocken. Weil Schnecken aber die
       Leibspeise von Igeln seien, machten sich diese regelmäßig auch über das
       Bier her. Kein ungefährliches Unterfangen, sagt Ludwig, „denn hinterher
       sind die Igel sturzbetrunken und schlafen ihren Rausch recht ungeschützt in
       der Gartenecke aus“. Der Ostberliner Tierparkgründer Heinrich Dathe hat
       einmal eine ganze Liste mit Anekdoten über betrunkene Tiere veröffentlicht.
       
       Noch eine letzte Geschichte – aus der Bild (von der wir übrigens annehmen,
       dass sie mit Unmengen Kokain zusammengestellt wird): „Auch die
       Strumpfbandnatter besorgt sich Tetrodotoxin – durch das Verschlingen eines
       Giftmolchs der Gattung Taricha. Die Schlange gerät in Trance, bewegt sich
       nur noch langsam und verliert die Angst vor ihren Feinden …“ Und jetzt
       kommt’s: „Verführt von der Leichtigkeit des Seins legt sie sich schutzlos
       in die Sonne – und wird zur leichten Beute für Falken.“
       
       Habe ich das richtig verstanden? Mit halluzinogenen Drogen lässt sich die
       „Leichtigkeit des Seins“ erfahren, auch von Strumpfbandnattern? Der
       tschechische Schriftsteller Milan Kundera hat diese Leichtigkeit ganz ohne
       Drogen erfahren – im Exil nach 1968. Dafür wurde sie ihm dort im Westen
       aber auch ganz „unerträglich“.
       
       3 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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