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       # taz.de -- Eindrücke vom CTM-Festival Berlin: Böse Geister vertreiben
       
       > Ausgeschwärmt in Theater und Clubs: „Fear, Anger, Love“ ist Motto des 18.
       > CTM-Festival. Elektronische Musik, Filme und Performances.
       
   IMG Bild: Moor Mother Donnerstagnacht im Berghain
       
       Fear: Der Rundgang über das Berliner Festival CTM beginnt mit rituellem
       Tanz in Baströcken auf Sandboden. Hühner werden geopfert, aus ihnen tropft
       Blut. Voodoopuppen werden gereinigt und geweiht. Wir werden ins
       westafrikanische Benin transportiert, am Dienstagabend im ausverkauften
       Berliner HAU. Die Bilder stammen aus dem Film „Bight of the Twin“ – der
       eindrucksvollen Dokumentation über den britischen Künstler Genesis Breyer
       P-Orridge, in den Siebzigern Mitbegründer der Industrial-Band Throbbing
       Gristle, später auch federführend in der Gruppe Psychic TV.
       
       Breyer P-Orridge, heute 66 Jahre alt, wird später live performen; als Mann
       geboren, tritt sie heute als Frau mit zwei geflochtenen blonden Zöpfen und
       tätowierten Armen in Erscheinung. Regisseurin Hazel Hill McCarthy III hat
       P-Orridge zu einer Reise in die Finsternis, ins afrikanische Benin,
       begleitet, hin zur Quelle des Voodoo.
       
       Dorthin reiste P-Orridge nach dem Tod seiner Partnerin und Kollaborateurin
       Lady Jaye vor zehn Jahren, um den in Benin als Staatsreligion akzeptierten
       Glauben für sich zu erkunden. Im Film ist zu sehen, wie P-Orridge mit
       Voodoo den Geist seiner toten Frau anruft, Dämonen vertreibt. Lady Jaye
       bekommt eine postume Rolle als Zwillingspuppe.
       
       ## Die lebenden Toten sind unter uns
       
       „Becoming actually Voodoo changed me forever“, sagt P-Orridge. Die
       mitgebrachte Zwillingspuppe ist später auf der Bühne am Mikrofongalgen
       drapiert. Die lebenden Toten sind unter uns.
       
       Böse Geister vertreiben, Ängste wegtanzen – auch das könnten Bedeutungen
       des CTM-Festivalmottos „Fear, Anger, Love“ sein. Popkultur fühlt sich seit
       jeher zum Voodoo hingezogen. Von Jimi Hendrix’ „Voodoo Chile“ über William
       S. Burroughs bis zu Hubert Fichte: alle landeten auf der Suche nach
       Spiritualität bei Naturmystiken und Praktiken indigener Völker. Ähnlich
       hierarchiefrei wie beim französischen Anthropologen Claude Levi-Strauss ist
       ihr Blick auf diese Kulturen.
       
       Eine Prise Voodoo steckt auch im Live-Auftritt von Genesis Breyer P-Orridge
       an diesem Abend. Im Duo mit dem US-Experimentalmusiker Aaron Dilloway
       beschwört P-Orridge einen besseren Seinszustand: „Searching for Substance /
       For essence / For change“. Währenddessen sitzt Dilloway vor Synthesizer,
       Mischpult und Effektgeräten und fabriziert Störgeräusche wie beim lauten
       Spulen einer Kassette. Dilloways Klänge bleiben eher unterschwellig, erst
       gegen Ende dreht der Künstler auf. Sein Brummen wird lauter, er wiegt den
       Körper auf und ab. Er schreit. Genesis Breyer P-Orridge spricht
       spartanisch: „Redesign yourself / Identity is death.“
       
       ## Gefangen in der Panorama-Bar
       
       Anger: Mittwochnacht im Berghain. Ein Besucher nickt heftig mit dem Kopf,
       verschwitzte Haare fliegen durch die Luft, er bewegt die Arme wie beim
       Boxen. Das Wummern durchzuckt alle auf der Tanzfläche der Panorama Bar,
       gefangen zwischen vier riesigen Boxentürmen. Der kanadische Saxofonist
       Colin Stetson bespielt den Club mit seiner neuen Metalband Ex Eye,
       „Exorcise“ heißt dieser Abend treffend. Gitarrenwände kommen mit
       Saxofon-Brummen zusammen, am Schlagzeug klimpert und klackert Greg Fox von
       Liturgy, Shahzad Ismaily hackt auf dem Korg-Synthesizer herum, der auf
       seinen Knien liegt. Das Finale dehnt und dehnt und dehnt sich, eine
       Rifffolge wird langsamer und zähflüssiger. Dann irgendwann setzt Stille
       ein. Und Ohrenfiepen.
       
       Ohrenfiepen erzeugte auch der letzten April verstorbend New Yorker Musiker
       Tony Conrad mit seiner Geige und den darauf gestrichenen langanhaltenden
       Tönen, sogenannten Drones. Conrads Andenken zu Ehren war im Rahmen der CTM
       im Kunstraum Bethanien die Dokumentation „Tony Conrad: Completely in the
       Present“ zu sehen. Der US-Regisseur Tyler Hubby arbeitete 22 Jahre an der
       Realisation seines Films.
       
       Zeit, das wurde hierbei klar, ist ein relativer Begriff. „Ich bevorzuge
       Langzeitprojekte, in der Musik, im Film, ja sogar in Beziehungen“, erklärt
       Tony Conrad an einer Stelle. Regisseur Hubby hat ihn über Jahre begleitet.
       Sein Film befreit Conrad, der in den Siebzigern an der Universität von
       Buffalo Media Studies unterrichtete, aus der Obskurität. Heute sind dessen
       Aufnahmen aus den frühen sechziger Jahren Kultobjekte: Mit La Monte Young,
       John Cale und anderen begründete Conrad damals das Theatre of Eternal
       Music, die Keimzelle des New Yorker Underground, aus der später auch Velvet
       Underground kommen sollten.
       
       Darüber hinaus erfand der experimentierlustige Conrad den „Flicker-Film“,
       das zuckende Bewegtbild, dessen Lichtblitze bei Zuschauern hypnotische
       Wirkungen erzeugen. Hubby hat für „Completely in the Present“
       Künstlerkollegen ausfindig gemacht, aber auch jüngere Musiker befragt. Sein
       Film ist die längst fällige „Labor of Love“, ein Liebhaberstück, das eine
       versunkene Ära der US-Avantgarde und eine ihrer zentralen Figuren
       begreifbar und gegenwärtig darstellt.
       
       ## Lärminferno von Moor Mother
       
       Love: Camae Ayewa reckt die Faust triumphierend in die Höhe. Ein Bassdrone
       wummert seit Minuten, dazu prasseln Beats, fiept ihr Moog. Donnerstagnacht
       im vollen Berghain. Auf der Bühne nennt sich die junge afroamerikanische
       Künstlerin Moor Mother. Aus ihrem musikalischen Maelstrom, einem
       Lärm-Inferno, bricht immer wieder die Stimme hervor, ein Hohngelächter
       ertönt, ein reißender Fluss von Gedanken, mystischen Zahlenrätseln,
       Anrufungen, Beschimpfungen.
       
       Moor Mother macht sich Gedanken um die Zukunft, beurteilt ihr Publikum, all
       das ist Teil der Performance. Ein toller Auftritt, der zu gleichen Teilen
       Wut, Angst und Liebe offenbart, so wie es sich der CTM auf die Fahnen
       geschrieben hat.
       
       3 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
   DIR Julian Weber
       
       ## TAGS
       
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