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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Eingemauert im Stammwählerdorf
       
       > Die Grünen haben in Berlin eine desaströse Niederlage erlitten. Wie schon
       > in etlichen Landtagswahlen zuvor. Was folgt daraus für den Bund?
       
   IMG Bild: Der Selbstbegeisterung des Spitzenteams der Berliner Grünen sollte noch eine andere Deutung hinzugefügt werden
       
       Opposition in einem Landesparlament ertrage man auf Dauer nur mit viel
       Humor oder im Suff, sagte mal sinngemäß der Grüne Dieter Salomon. Er floh
       dann aus der Opposition, um in Freiburg zu regieren. Es ist also
       verständlich, dass sich die Berliner Grünen wie Bolle freuen, demnächst
       wohl unter der SPD endlich ein bisschen mitregieren zu dürfen. Zweifellos
       hat auch jeder Einzelne hart dafür gearbeitet.
       
       Dennoch möchte ich der Selbstbegeisterung eine andere Deutung hinzufügen.
       Man kann diesen vierten Platz in Berlin nach einem Wischiwaschiwahlkampf
       auch als desaströse grüne Niederlage sehen – und als Ausdruck der
       ambivalenten Gesamtsituation. Die Grünen mehren ihre
       Regierungsbeteiligungen. Gleichzeitig verlieren sie eine Wahl nach der
       anderen und dabei an gesellschaftlicher Relevanz. Berlin (– 2,4) war die
       elfte der letzten vierzehn Wahlen, bei denen die Partei verloren hat,
       darunter sind Desaster wie zuletzt Brandenburg (– 3,9) und Rheinland-Pfalz
       (– 10,1).
       
       Wenn man von Minizuwächsen in Brandenburg (+ 0,5) und Hamburg (+ 1,1)
       absieht, haben die Grünen in den letzten fünf Jahren nur bei einer Wahl in
       die Gesellschaft ausgegriffen. Das war im März in Baden-Württemberg: 30,4
       Prozent (+ 6,1). Zur Relation: Das ist mehr, als sie bei der Berliner
       Abgeordnetenhauswahl in Kreuzberg geholt haben.
       
       So kann man nicht argumentieren, sagen viele Grüne: Der mit 80 Prozent
       Zustimmung regierende Ministerpräsident Kretschmann gilt nicht. Und der
       allgemeine zwischenzeitliche Aufschwung lag an der Atomkatastrophe von
       Fukushima. Tja, wer solche Spitzenargumente hat, braucht keine politischen
       Gegner mehr.
       
       Die Demokratie ist in Gefahr. Die EU auch. Die europäische und deutsche
       Gesellschaft wird zunehmend gespalten, die alten Volksparteien erodieren,
       weil ihre Zeit vorbei ist. Zumindest mal die der SPD. Kretschmann reagiert
       genau darauf und stürzt die politischen Verhältnisse um. Und andere sagen:
       Sorry, Leute, aber wir sind nur relevant, wenn ein AKW in die Luft geht.
       Und das ist derzeit leider nicht der Fall.
       
       Berlin ist politisch eine provinzielle Stadt. Aber nun hat sich gezeigt,
       dass gesellschaftliche Orientierung und Führung der kleinbürgerlichen SPD
       und der kleinstbürgerlichen CDU nicht mehr zugetraut wird. Sich in so einer
       Lage mit Radwegen und Toleranzzonen im Stammwählerdorf einzumauern, statt
       einen alternativen, moderat progressiven Führungsanspruch inhaltlich,
       personell und damit machtpolitisch zu formulieren, das ist – denken wir es
       mal altgrün – Verrat an der Welt.
       
       Die therapeutisch ausgeklügelte Ansammlung von Spitzenkandidaten mit einer
       „herausgehobenen“ Ramona Pop, der vom Parteitag sicherheitshalber das
       Misstrauen ausgesprochen worden war, dokumentiert ein weiteres
       Grunddilemma: dass die Grünen keinem Grünen vertrauen. Nicht mal einer
       grünen Frau. Wie soll das dann sonst irgendjemand tun?
       
       ## Öko-App oder Inhalt?
       
       Den Protest gegen das Establishment haben erst die Linkspartei und jetzt
       die AfD übernommen. Nun stellt sich die Frage, ob die Grünen den Rekord an
       Regierungsbeteiligungen als mehrheitbeschaffende Öko-App mit
       geschlechterpolitischer Tophaltung aufstellen wollen. Oder bei der Urwahl
       ein inhaltliches und personelles Angebot entwickeln, bei dem es eben nicht
       um die Entscheidung geht: Schlüpfen wir bei Schwarz-Grün oder bei
       Rot-Grün-Rot unter?
       
       Die grüne Lage im Bund ist schwieriger, als es die in Berlin gewesen wäre.
       Aber die Zukunft entscheidet sich nicht zwischen einer schwarzen und einer
       roten Alternative. Sondern in einer, die das Vakuum an Orientierung mit
       einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ausfüllt. Im Zweifel ökosozial.
       
       25 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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