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       # taz.de -- Buch über die Geschichte des Punk: Verbreitet via Tröpfcheninfektion
       
       > Der Punk ist schon 50 und nicht erst 40 Jahre alt. Der Reader „Damaged
       > Goods“ feiert die Helden der Musik sehr subjektiv, sehr schön.
       
   IMG Bild: Sid Vicious (links) und Jonny Rotten von den Sex Pistols bei einem ihrer Auftritt 1978 in Dallas
       
       Wie man das Lebensgefühl von Punk beschreiben könnte? Vielleicht so:
       „Atemlos, sexy, schwül, verdorben, rasend, schmutzig.“ So habe die Musik
       von The Gun Club für ihn geklungen, schreibt Holger Adam über die Band aus
       Los Angeles.
       
       Oder, wie Moses Arndt zu Black Flags Album Damaged bemerkt: „Damaged goss
       primitive Gefühle wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Stress, Hass,
       Depression, die unsere Vorfahren bereits in den Höhlen der Cro-Magnons und
       Neandertaler zelebriert hatten, auf Vinyl“.
       
       Es gibt aber auch eine etwas konstruktivere Auffassung der Jugendkultur:
       „Punk waren nicht nur Jungen, die mit Dosen werfen. Punk war, wie Kathleen
       Hanna sagt ‚ein Geisteszustand – ein Ausdruck von Energie‘.“ Schreibt Julie
       Miess in ihrem Text über die Band Carambolage, eine der erste
       Frauen-Punkbands hierzulande.
       
       Jede dieser Antworten ist ein Treffer. Sie alle finden sich in der soeben
       erschienenen Anthologie „Damaged Goods – 150 Einträge in die
       Punk-Geschichte“. Benannt ist das von Jonas Engelmann herausgegebene Buch
       nach dem gleichnamigen Song von Gang of Four (nebenbei wird deutlich, dass
       „damaged“, also „beschädigt“, eine zentrale Vokabel im Punk war).
       
       ## Autobiografischer Ansatz
       
       Mehr als 100 Autorinnen und Autoren reflektieren in dem Reader über
       wichtige Alben in der Geschichte des Punk – die gelungensten Ansätze sind
       dabei biografischer Art. So gut wie alle Texte stellen die Fragen, die
       jeden beschäftigen, der irgendwann in seinem Leben von dieser Subkultur
       infiziert wurde: Wer und was ist Punk? Was hat Punk, was andere – Rock,
       Pop, Jazz – nicht haben? Und, um einen weiteren Text aus dem Band zu
       zitieren, „wann war es vorbei?“ Als „das erste Kid ‚Punk’s not dead‘ an
       eine Wand sprühte“?
       
       In „Damaged Goods“ wird zunächst die Frage beantwortet, wann es anfing, und
       da erlebt man gleich die erste Überraschung. Denn hier beginnt Punk mit The
       Monks im Jahre 1966, gefolgt von Einträgen zu Velvet Underground, The Fugs
       und Ton Steine Scherben. Demnach würde man in diesem Jahr bereits den 50.
       und nicht den 40. Geburtstag der Subkultur begehen. Im Lauf der Lektüre
       wird klar: Es ist durchaus stimmig, die Initialzündung von Punk Anno 1976
       anzusiedeln. In jenem Jahr fanden die für die erste Punk-Generation
       prägenden Konzerte der Sex Pistols statt. Den Erzählungen der Zeitzeugen
       zufolge verbreitete sich Punk auf diesen Konzerten quasi via
       Tröpfcheninfektion; jeder Zweite im Publikum schien später eine eigene Band
       zu gründen.
       
       Aber selbstverständlich kann man die früheren Velvet Underground oder Ton
       Steine Scherben als Protopunk bezeichnen, genau wie die Stooges und MC5. Es
       ist eine der Stärken des Buchs, dass eindeutige Schubladenzuweisungen
       vermieden werden. Die Weilheimer Indie-Helden von The Notwist, das
       österreichische Quetschn-Duo Attwenger oder das kanadische
       Postrock-Kollektiv Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra werden
       gleichberechtigt in die feine Sammlung einsortiert – zu Recht.
       
       Von 1966 bis 2016 reicht also das Punk-Spektrum in „Damaged Goods“ und die
       Auswahl überzeugt: Als Überblick, insbesondere über den westlichen und
       angloamerikanischen Punk, funktioniert das Buch bestens. The Clash,
       Buzzcocks, The Undertones, Germs, Dead Kennedys, Big Black, um nur einige
       zu nennen: Die relevantesten Gruppen und Werke sind fast alle vertreten.
       Die Autoren – Fanzine-Herausgeber, Journalisten (darunter auch
       taz-AutorInnen und -Musikredakteur Julian Weber), Verleger, Musiker – sind
       gut gewählt.
       
       ## Der große Streit
       
       Das Gros der meist zweiseitigen Texte ist gut lesbar; insbesondere, wenn
       sie anekdotisch daherkommen. Ausfälle gibt es auch: Ausgerechnet der Text
       über die Sex Pistols zählt zu den schwächeren, weil der Autor die uralte
       Frage, wie viel Malcolm-Mc-Laren-Konstrukt die Pistols nun waren oder
       nicht, für viel zu relevant hält. Andere Artikel sind hoffnungslos
       überladen (beispielsweise der Eintrag über The Stranglers). Was an mehreren
       Texten überdies stört, ist, dass sie voller Deutungen sind, aber Kenntnisse
       über Band, Alben und Songtexte voraussetzen.
       
       Der Großteil der Texte aber schafft es, die Euphorie, die Punk-Musik
       auslöste, die Veränderung, die sie in den Subjekten bewirkte, zu
       vermitteln. Stellvertretend sei hier noch einmal Moses Arndt, ehemaliger
       Herausgeber des Fanzines Zap, zitiert: „Ich frage mich, wie die armen
       Menschen um mich herum ohne dieses Erweckungserlebnis überhaupt existieren
       konnten.“ Ähnlich fundamental für ihre weiteren Leben schildern viele
       Autorinnen und Autoren hier ihre ersten Punk-Erlebnisse.
       
       Absolutes Highlight in dieser Hinsicht ist der Comic von Leo Leowald
       („Jonathan Richman in Gummersbach“), der eine biografische
       Coming-of-Punk-Geschichte erzählt. Schön auch Geständnisse wie die von
       Jonnie Schulz, dass so manche Hörerfahrung – hier Napalm Death – die
       Augenzeugen zunächst völlig überforderte. Zur Distinktion aber machte sich
       so eine Napalm-Death-Fanschaft gut.
       
       Ein weiteres Plus an „Damaged Goods“ ist, dass zahlreiche Frauen über ihre
       Punk-Erfahrungen schreiben und viele wegweisende Künstlerinnen – Kleenex,
       Malaria!, Team Dresch, Le Tigre – wie selbstverständlich Platz in der
       Anthologie finden. Erhellend sind auch die kurzen Storys über jugoslawische
       (etwa Pankrti, Ljubljana), polnische (Brygada Kryzis), russische
       (Graschdanskaja Oborona) und argentinische Bands (Los Violadores) –
       trotzdem, der Blick hätte durchaus noch mehr gen Peripherie gerichtet sein
       dürfen. Die DDR ist – etwa mit AG Geige und Feeling B – ganz gut vertreten.
       
       Was Punk ist und wo er aufhört, darüber wird bis heute gestritten – das
       klingt auch hier in einigen Artikeln an, wenn etwa die frühe Abkehr von The
       Clash vom rohen Punk in Richtung Dubreggae und HipHop bekrittelt wird. Zum
       Glück rückt Autor Drehli Robnik das in seiner Huldigung des Clash-Albums
       „Sandinista!“ einigermaßen gerade. Denn wenn diese musikalische Expansion,
       wie The Clash sie wider die Wiederholung exerziert haben, nicht punk sein
       soll, dann darf er auch gerne sterben.
       
       22 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
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