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       # taz.de -- Dopingjäger Jeff Novitzky: „Es war ein gutes Jahr“
       
       > Jeff Novitzky ist ein bekannter Dopingjäger. Vor einem Jahr hat ihn die
       > Mixed-Martial-Arts-Organisation UFC für ihr Anti-Dopingprogramm
       > verpflichtet.
       
   IMG Bild: Eine dopingträchtige Sportart ist die Schwerathletik – die ertappte Sportlerin Chen Xiexia aus China
       
       taz.am wochenende: Herr Novitzky, mögen Sie Ihren Spitznamen Dirt Novitzky? 
       
       Jeff Novitzky: Ich mag Dirk Nowitzki. Etwas, das mich in seine Nähe rückt,
       kann nicht schlecht sein.
       
       Sie tragen den Namen, weil Sie während Ihrer Dopingermittlungen nach
       Beweismitteln in Mülltonnen (Dirt = Schmutz) gesucht haben. Das deutsche
       Recherchenetzwerk Correctiv fand kürzlich bei der EM Spritzen [1][im Abfall
       der ukrainischen Mannschaft]. Wie wichtig ist Müll im Antidopingkampf? 
       
       Müll ist ein sehr mächtiges Werkzeug in Ermittlungen. Man kann fast alles
       über eine Person herausfinden, wenn man lang genug ihren Müll untersucht.
       
       Was haben Sie gefunden? 
       
       Im BALCO-Fall (Skandal von 2003, in dem u. a. die Sprinterin Marion Jones
       und der Baseballstar Barry Bonds überführt wurden, d. Red.) haben wir jede
       Woche den Müll von Verdächtigen durchsucht. Wir fanden immer die
       Verpackungshüllen von Spritzen und verbotenen Substanzen. Aber nie die
       Nadeln selbst oder die Behälter der Mittel. Durch die Bankunterlagen fanden
       wir irgendwann heraus: Die Verdächtigen haben dafür gezahlt, dass ihr
       medizinischer Müll von einer Firma separat abgeholt und entsorgt wird. Wir
       haben die Firma kontaktiert und sind so an die Beweise gekommen.
       
       Im jüngsten Skandal hat die Whistleblowerin Julia Stepanowa geholfen, das
       russische Staatsdoping zu entlarven. Die Ethikkommission des IOC
       kritisierte Stepanowa, weil sie selber gedopt hatte und deswegen keine
       zuverlässige Quelle mehr sein könne. Wie sehen Sie das? 
       
       [2][Der Schritt von Julia Stepanowa ist sehr mutig.] Ich hatte mit vielen
       Sportlern zu tun, die in einer ähnlichen Situation waren. Die Perspektive
       der Athleten ist wichtig: Nur mit dem Bewusstsein über das Ausmaß der
       Probleme, die es in der Sportwelt gibt, kann man etwas verändern. Es war
       ein gutes Jahr für den Kampf gegen Doping.
       
       Aber macht das IOC nicht gerade ein paar Schritte rückwärts mit dem
       [3][Präsidenten Thomas Bach], der am liebsten der Wada den Antidopingkampf
       entreißen will, Stepanowa verurteilt und zudem als Freund von Putin gilt? 
       
       Dennoch gibt es ein Momentum für die Unabhängigkeit: Gerade haben sich 17
       nationale Anti-dopingbehörden in Kopenhagen getroffen, um Empfehlungen für
       die Wada und das IOC zu geben. Die Enthüllungen haben gezeigt, dass wir
       Veränderungen brauchen: Es bestehen Interessenskonflikte im IOC und der
       Wada, wenn dort dieselben Personen sitzen.
       
       Glauben Sie, dass das russische System des organisierten Staatsdopings auch
       anderswo in ähnlicher Form existiert? 
       
       Ja. Es ist kein einzigartiges Phänomen. Die USA hatten dieselben Programme
       in den 70ern und 80ern. Entscheidend ist jetzt, was aus den Enthüllungen
       abgeleitet wird. Aber ich bin optimistisch.
       
       Warum? 
       
       Nehmen wir zum Beispiel das, was wir hier beim UFC machen: Wir haben
       innerhalb nur eines Jahres das weltweit beste Antidopingprogramm im
       professionellen Sport auf die Beine gestellt. Es ist komplett unabhängig
       organisiert von der Usada, der amerikanischen Antidoping Agency. Das
       Programm folgt keinen wirtschaftlichen oder Verbandsinteressen.
       
       Sie sind einer der bekanntesten Dopingermittler der Welt. Warum arbeiten
       Sie auf einmal für einen Sportverband, der in Vergangenheit Probleme mit
       Doping hatte? 
       
       Wir haben gemeinsame Ziele: Wir wollen saubere Sportler schützen. Darüber
       hinaus wollen wir ein prototypisches Anti-dopingprogramm schaffen, das
       andere professionelle Sportligen und Verbände zum Vorbild nehmen können.
       Das Programm kostet zwar mehrere Millionen Dollar im Jahr und die
       Implementierung ist aufwändig. Aber die Investition lohnt sich auf lange
       Sicht: Die UFC wurde gerade teuer verkauft (eine Investorengruppe hat die
       Organisation und die Vermarktungsrechte vor Kurzem für 4 Milliarden Dollar
       gekauft, Anm. d. Red.). Das beste Antidopingprogramm der Welt dürfte zum
       Wert dieser Firma beigetragen haben.
       
       Was ist das Besondere am Antidopingprogramm des UFC? 
       
       Es gibt kaum Schlupflöcher für die Sportler: An jedem Tag des Jahres gibt
       es rund um die Uhr, auch nachts, unangekündigte Tests durch die Usada. Die
       UFC hat keinen Einfluss, Usada ist vollkommen unabhängig. Das ist sehr
       wichtig: Jede Art von Vorhersagbarkeit bietet den Sportlern ein
       Schlupfloch. Es reicht schon, einen Tag der Woche oder die Woche des Monats
       zu wissen, um Drogen rechtzeitig abzusetzen, sodass sie zum Testzeitpunkt
       aus dem Körper verschwunden sind.
       
       Und Usada-Kontrolleure stehen auch in der Nacht vor dem Wettkampf vor der
       Haustür? 
       
       Sie können immer vorbei kommen. Aber unser Programm hat noch mehr Stärken:
       Usada hat von allen Sportlern einen biologischen Pass, mit dem wir in
       Langzeitanalysen bestimmte Blut- und Urinmarker untersuchen. Bei
       Auffälligkeiten kann auch ohne stofflichen Nachweis einer bestimmten
       Substanz ein Dopingverbot ausgesprochen werden, weil bestimmte Faktoren auf
       die Nutzung von Stereoiden hindeuten. Kein anderer professioneller Sport
       hat unabhängige Tests an 365 Tagen im Jahr und biologische Pässe.
       
       Bedeutet das auf der anderen Seite, dass es sehr leicht ist, in jedem
       anderen Sport zu dopen? 
       
       Ja. Sobald Sportler ungefähr einschätzen können, wann sie geprüft werden,
       ist es einfach. Ich hoffe, dass andere Sportverbände sich fragen, warum sie
       nicht ähnliche Modelle wie die UFC nutzen.
       
       In der deutschen Fußballbundesliga wird nicht im Urlaub oder in
       Verletzungspausen kontrolliert. Sind das große Schlupflöcher? 
       
       Groß genug, um mit einem Truck durchzufahren. Bei der Tour de France haben
       die Fahrer gemerkt, dass sie niemals zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr
       morgens getestet wurden. Ein achtstündiges Fenster reicht für bestimmte
       Substanzen. Man nimmt sie einfach pünktlich abends um zehn und morgens um
       sechs ist alles wieder draußen. Damit kann man sich gute
       Wettbewerbsvorteile für den nächsten Tag schaffen.
       
       Berühmte deutsche Fußballer und Akteure wie Mehmet Scholl und Jürgen Klopp
       behaupteten in der Vergangenheit, dass Doping beim Fußball wenig bringe.
       Was ist dran? 
       
       Ich habe Doping in jeder Sportart gesehen. Es hilft überall, wo Kraft und
       Ausdauer gefragt sind. Ich weiß nicht konkret, wie verbreitet Doping im
       Fußball ist, aber jemand, der behauptet, dass der Sport immun sei, hat
       keine Ahnung, wovon er redet.
       
       Wobei hilft Doping am besten? 
       
       Es gibt alles Mögliche. Manche Präparate helfen beim Muskelaufbau, andere
       bei der Ausdauer. Man kann mit ihnen ewig rennen, viele helfen bei der
       Erholung. Man kann fünf Tage lang richtig hart trainieren und wenn man am
       sechsten Tag ein Spiel hat, fühlt man sich trotzdem gut erholt. Es sind
       einfach effektive Wundermittel, die gute Sportler noch besser machen.
       Ältere Athleten, Mitte bis Ende Dreißig, am Ende ihrer Karriere, erzählten
       mir über ihre Dopingerfahrungen: „Jeff, ich fühle mich auf einmal wieder
       wie 17! Schon direkt nach dem Aufstehen morgens habe ich anstelle von
       Schmerzen eine Tonne Energie.“ Welchen Sport sollte das nicht begünstigen?
       
       Sie haben selber College-Basketball gespielt, hatten aber nie den großen
       Durchbruch. Wie viel hätten Sie mit Doping erreichen können? 
       
       Darüber habe ich damals nie nachgedacht. Aber in den Gesprächen mit über
       einhundert ehemaligen Dopingsündern habe ich gelernt, ihre Motivation zu
       verstehen. Ich war nicht neidisch, aber konnte nachvollziehen, warum sie es
       taten. Viele sagten: „Es war so verbreitet in meinem Sport. Ich wollte auf
       dem Niveau bleiben und dafür musste ich es tun.“ Das ist beim UFC anders:
       Hier ist das Risiko für die Athleten viel zu hoch. Früher oder später
       werden sie erwischt. Im American Football bist du bei einem Verstoß vier
       Spiele gesperrt – hier bist du mindestens vier Jahre draußen. Das heißt
       eigentlich, dass deine Karriere vorbei ist.
       
       Verbuchen Sie die jüngst aufgeflogenen Dopingfälle von den MMA-Kämpfern Jon
       Jones und Brock Lesnar als Erfolg? 
       
       Nein. Ich werte es fast als persönliches Versagen: Ich arbeite mit den
       Sportlern und kläre sie über die langfristigen Folgen von Doping auf.
       Natürlich zeigen die Fälle auch, wie stark das Programm ist, aber für mich
       ist ein positives Testergebnis immer traurig.
       
       Benutzen auch Amateursportler die Mittel? 
       
       Ich hab es auf jedem Niveau gesehen. Bei Jugendlichen im Nachwuchsbereich,
       bei Professionellen in der Weltspitze, bei Sechzigjährigen, die es zur
       Rehabilitierung am Wochenende benutzten. Aber es wird besser: Die
       Antidopingbewegung wächst. Etwa beim Baseball ist es deutlich besser
       geworden. Bis 2004 gab es dort überhaupt keine Dopingtests. Nichts! Es war
       überall – und breitete sich auch bei Jüngeren aus: im College, auf
       Amateurniveau, sogar bei High-School-Kids. Ich habe mit vielen Eltern
       gesprochen, deren Kinder auf der High-School gedopt haben. Viele haben
       Wachstums-Hormone in der Entwicklung überhaupt nicht verkraftet, wurden
       depressiv, einige der Jugendlichen haben Selbstmord begangen.
       
       Wir haben viel über Tests der nichtstaatlichen Usada geredet. Aber wie
       wichtig sind staatliche Ermittlungen im Antidopingkampf? 
       
       Sie stecken hinter fast allen großen Dopingskandalen der letzten zwanzig
       Jahre. Das effektivste Mittel im Kampf gegen Doping ist Ermittlungsarbeit.
       Deutschland hat dabei gute Voraussetzungen: Hier gibt es etwa
       Antidopinggesetze. In den USA gibt es diese nicht. Wir mussten uns in
       unseren Ermittlungen auf andere Gesetze stützen, die etwa beim Handel oder
       bei der Finanzierung gebrochen wurden.
       
       3 Sep 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://correctiv.org/recherchen/fussballdoping/blog/2016/06/30/entzuendungshemmer-im-em-quartier/
   DIR [2] /Russische-Doping-Whistleblower/!5330483/
   DIR [3] /IOC-Chef-Thomas-Bach/!5332217/
       
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