# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Es gibt keinen Preis für Freiraum
> Die Berliner Polizei hat ein linkes Projekt geräumt. Kosten: 1 Million
> Euro. Politik und Presse sind ganz aufgeregt. Doch sie haben keine
> Ahnung.
IMG Bild: Polizeieinsatz am 22.6.2016 im linken Projekt Rigaer94
Als die Berliner Polizei letzte Woche im Verbund mit einer Baufirma die
Räume der linken Begegnungsstätte „Kadterschmiede“ räumen ließ, waren die
Reaktionen auf der Straße verhältnismäßig zurückhaltend. Der Weltuntergang
sieht anders aus.
Noch ist man sich in autonomen Kreisen nicht ganz einig, ob es sich
wirklich um Tag X handelt, jenen bedeutungsschwangeren Hashtag mit dem
deutschlandweit für den Fall einer Räumung von linken Projekten geworben
wird. Motto: Für jede Räumung gibt es eine Million Sachschaden.
Eine Summe, die ziemlich gering erscheint, wenn man sich vor Augen führt,
was hier (mal wieder) aus den vermeintlichen Hochburgen der
„links-grün-versifften Schlägertrupps“ wie Berlin, Leipzig oder Hamburg
verbannt werden soll: Freiraum.
Mit der extrem kalkuliert wirkenden Behauptung, man wolle in den Räumen der
symbolträchtigen Rigaer94 Wohnraum für Flüchtlinge schaffen, kreierte man
bewusst ein Aufregerthema für die Pegidisten des Landes. Endlich der
Beweis: Die Linksfaschisten sind selber Nazis.
## Fakten? Egal.
Das Netz weiß nun unter anderem: „Linke Deutsche kämpfen in Berlin gegen
Flüchtlinge“. Dass die Rigaer längst Wohnraum für Flüchtlinge in
Notsituationen bereitstellte und die Kadterschmiede immer ein Treffpunkt
für Menschen unterschiedlichster Herkunft war, spielt dabei keine Rolle.
Bürgerinitiativen wie „Moabit hilft!“ haben inzwischen erklärt, dass die
Miete nach der Sanierung der Räumlichkeiten zu hoch sein wird, um vom
Jobcenter übernommen zu werden. Alles egal.
Der sprachliche Super-GAU ist allgegenwärtig. Viele Medien titelten gestern
ganz selbstverständlich „Erneut linker Terror in Berlin“. Die Bilanz der
vorangegangenen Nacht: Eine Menschengruppe hatte „mit Tritten und
Faustschlägen“ (!) das Jobcenter attackiert und Parolen gesprüht. Noch ist
nicht bekannt, ob sich das Gebäude gewehrt hat oder die Schläge stumm
ertrug.
Im Wedding wurden „Bauzäune und Warnbaken“ auf die Straße gezogen, eine
Demonstration verlief ohne weitere Zwischenfälle. Darüber hinaus gab es
einige versuchte und erfolgreiche Brandanschläge auf Autos. Darunter einige
Privatfahrzeuge, andere von Firmen. Das reicht Wahlkämpfern wie
Innensenator Frank Henkel oder dem SPD-Brüllaffen Tom Schreiber aus, um von
einer „Kampfansage an unsere Stadt“, „perfiden Strategie“ oder
„willkürlichem Terror gegen unsere Bevölkerung“ zu sprechen.
Die kolportierte Million gilt vielen der Verantwortlichen in der Politik
als Beweis für die unglaubliche Zerstörungswut der autonomen Szene. Man hat
immer noch nicht verstanden, dass es sich um eine rein symbolische Zahl
handelt, wie auch, man denkt ja selber nur in Eurozeichen. Für die
Zerstörung von Freiraum, Kreativität, Individualismus und Spontanität aber
gibt es keinen Preis. Dass Frank Henkel der fleischgewordene Gegenpart
solcher Attribute ist, dürfte jedem klar sein, der die Berliner CDU auch
nur aus der Ferne beobachtet hat.
Die traurige Wahrheit lautet: Eine Million ist viel zu wenig, vor 100
Millionen denkt in solchen Kreisen niemand nach. Vollkommen egal ob es sich
um Sachschaden oder Gewinn handelt.
29 Jun 2016
## AUTOREN
DIR Juri Sternburg
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