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       # taz.de -- Migrationsforscher über „Generation Mix“: „Herrschende Klasse ist noch weiß“
       
       > In den Städten sind die Deutschen bald eine Minderheit unter vielen, sagt
       > der Forscher Jens Schneider. Er erklärt, warum davon alle profitieren.
       
   IMG Bild: Im urbanen Raum wird laut Jens Schneider künftig niemand mehr in der Mehrheit sein. Hier das Schlesische Tor in Berlin-Kreuzberg.
       
       taz: Herr Schneider, in ihrem Buch „Generation Mix“ sagen Sie, dass die
       europäischen Großstädte demnächst „mehrheitlich aus Minderheiten bestehen“
       werden. Was heißt das? 
       
       Jens Schneider: In westlichen Großstädten gab es bisher immer eine
       Mehrheitsgesellschaft. In New York sind das die WASPs, die „White
       Anglo-Saxon Protestants, in London heißen sie „British Whites“. In
       Deutschland spricht man von „den Deutschen“, gemeint sind die
       Alteingesessenen, ohne Migrationshintergrund und christlich geprägt. Die
       werden jetzt in den Städten zu einer Minderheit unter vielen.
       
       Das Entscheidende dabei ist, dass an ihre Stelle keine neue Mehrheit tritt.
       Und das wiederum verändert die Geschäftsgrundlage der Gesellschaft, vor
       allem was Integration angeht. Es stellt sich nunmehr die Frage: Mit welchem
       Recht verlangt diese Gruppe, dass alle so zu sein haben wie sie?
       
       In New York hat die Gruppe der WASPs die 50-Prozent-Marke längst
       unterschritten. Verliert die Mehrheitsgesellschaft allein dadurch an
       Bedeutung, dass sie in der Unterzahl ist? 
       
       Klar kommt es darauf an, wer an den Schaltstellen sitzt, in den
       Unternehmen, in Politik und Verwaltung. In New York, genau wie in Berlin
       und Hamburg, ist die herrschende Klasse immer noch weiß. Aber es gibt eine
       demografische Entwicklung von unten, die dem entgegensteht. Das zeigt sich
       in den Schulklassen. Es ist inzwischen zur Regel geworden, dass eine
       großstädtische Schule sehr vielfältig ist. Dort sind Kinder mit deutschem
       Hintergrund ein Grüppchen unter vielen – also können sie nicht mehr einfach
       von den anderen fordern, sich anzupassen.
       
       Das klingt nach dem Albtraum von Pegida und allen Leitkultur-Fans. Gibt es
       dann nur noch Parallelgesellschaften? 
       
       Es besteht durchaus die Gefahr, dass sich isolierte Communitys bilden. Das
       passiert aber nicht in erster Linie aufgrund der demografischen
       Entwicklung, sondern durch den Diskurs: Ethnisch-kulturelle Unterschiede
       werden überhöht, ihnen wird zu viel Bedeutung beigemessen. Das betreiben
       gerade vor allem Rechtspopulisten auf der einen und Islamisten auf der
       anderen Seite.
       
       Die Rechten erzeugen das, was sie anprangern? 
       
       Sie behaupten von vornherein, dass das Miteinander nicht funktioniert. Das
       kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Den Menschen
       bleibt dann nichts anderes übrig, als sich irgendwo zuzuordnen. Zementiert
       wird die Parallelgesellschaft zudem dadurch, dass Ethnie mit sozialer
       Schicht assoziiert wird – also davon ausgegangen wird, Türke oder Araber
       sein hieße automatisch, arm und ungebildet zu sein.
       
       Sie gehen hingegen davon aus, dass Ethnie an Bedeutung verlieren wird.
       Warum? 
       
       Das passiert automatisch, wenn sich Gruppen mischen. Das kann man bei
       Kindern an gut funktionierenden Schulen beobachten. Sie wachsen gemeinsam
       auf, spielen zusammen Computerspiele, entdecken die Liebe – da ist dann so
       etwas wie Religion nur noch an Feiertagen relevant, ansonsten überwiegen
       die Gemeinsamkeiten. Dazu kommt, dass es immer mehr gemischte Familien
       gibt. Deren Kinder haben keine eindeutige ethnische Zuordnung mehr. In der
       Konsequenz heißt das: Wenn sich niemand mehr klar zuordnen lässt, wird die
       Kategorie „Ethnie“ irrelevant.
       
       Sie nennen das eine „hybride, superdiverse großstädtische Kultur“. 
       
       Und die ist eine Chance für die Demokratie. Eine verbreitete Angst ist ja,
       dass die mehrheitlichen Werte, etwa Säkularismus und Demokratie,
       verschwinden. Das stimmt nicht. Im Gegenteil, diese Werte werden
       attraktiver, je weniger Menschen ausgegrenzt werden. Die Muslima kann
       genauso gut zur Patriotin werden wie die Christin – aber nur, wenn sie
       nicht dauernd wegen ihres Kopftuchs gegängelt wird.
       
       Sie haben Menschen mit und ohne Migrationshintergrund befragt. Dabei kam
       heraus, dass die Befragten aus ethnischen Minderheiten öfter diverse
       Freundeskreise haben als die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Wie
       kommt das? 
       
       Das ist zum einen ein statistischer Effekt: Die Wahrscheinlichkeit, Kontakt
       zur Mehrheit zu haben, ist ja höher als gegenüber den wenigen Angehörigen
       einer bestimmten Minderheit. Es liegt zum anderen daran, dass Schicht und
       Ethnie immer noch zusammenhängen. Die Einwanderer der 50er und 60er Jahre
       waren gering gebildet. Das deutsche Bildungssystem wiederum neigt dazu,
       sozialen Aufstieg zu verhindern. Die meisten Gastarbeiterkinder blieben
       deshalb Teil der Unterschicht.
       
       Dadurch haben sich die Wohnviertel polarisiert: Arbeiterviertel wurden
       extrem divers, bürgerliche Gegenden hingegen nicht. Die bürgerliche, weiße
       Mehrheitsgesellschaft blieb unter sich und bleibt es bis heute. Ihre
       Mitglieder empfinden es oft nicht als Defizit, dass sie keine Kontakte zu
       anderen Ethnien haben.
       
       Heißt das, die Weißen sind die eigentliche Parallelgesellschaft? 
       
       Es gibt natürlich auch unter den Migranten die Gruppe der Skeptiker, die
       lieber unter sich bleiben wollen. Wir haben aber festgestellt: Je höher die
       Bildung, desto kleiner wird diese Gruppe. Bei der Mehrheitsgesellschaft ist
       es genau andersherum: Dort steigt die Skepsis gegenüber anderen Ethnien mit
       dem Bildungsgrad.
       
       Das widerspricht dem Klischee vom rechtsextremen Arbeiterviertel. 
       
       Aber es entspricht dem Befund, dass die AfD überdurchschnittlich viele
       Akademiker anzieht. Klar gibt es Ressentiments in allen Schichten. Aber
       Vorurteile verschwinden nur im täglichen Umgang miteinander. Der ist in den
       Arbeitervierteln unausweichlich. Personen mit hohen Abschlüssen leben in
       Gegenden, wo sie kaum Berührungspunkte mit Einwanderern haben. Dazu kommt:
       Gebildete Menschen halten ihre Vorurteile oft für gut begründet, weil sie
       ja gebildet sind.
       
       Ihr Buch erschien 2015, vor der sogenannten Flüchtlingskrise. In den
       letzten Monaten hat Einwanderung stark zugenommen. Erschwert das den Weg zu
       Multikulti? 
       
       Es wird immer Konflikte geben und romantisieren sollte man Multikulti auch
       nicht. Das Gute an der Flüchtlingskrise ist, dass dadurch Reformen
       angestoßen werden. Nehmen wir wieder die Schulen: Durch die Flüchtlinge
       sind sie stärker gefordert, ihre Ansätze zu überdenken. Natürlich ist es
       erst mal eine gewaltige Herausforderung, die Kinder dieser neuen
       Einwanderer zu integrieren. Andererseits gibt es dafür längst die nötigen
       Konzepte.
       
       Seit Jahrzehnten ist bekannt, wie man in heterogenen Lerngruppen
       unterrichtet und wie man Kinder individuell fördert. Diese Konzepte findet
       man bisher nur nicht konsequent umgesetzt. Die Krise zwingt uns dazu, das
       jetzt nachzuholen. Davon können am Ende alle Kinder profitieren.
       
       Welche Lehren lassen sich aus den Erfahrungen der Gastarbeitergeneration
       für die gegenwärtige Einwanderungspolitik ziehen? 
       
       Die Kinder der jetzigen Einwanderer müssen so früh wie möglich ins
       Bildungssystem integriert werden und eine Perspektive entwickeln können.
       Dazu gehört im Zweifelsfall auch ein schneller Familiennachzug – und
       Migration auch in großer Zahl als Normalfall zu sehen. Im Moment herrscht
       das Paradigma: „Jeder Migrant, der nicht hier ist, ist ein guter Migrant.“
       Das ist absurd, wenn man bedenkt, dass gleichzeitig manche Landkreise so
       stark ausbluten, dass es sich kaum lohnt, einen Supermarkt zu unterhalten.
       Diese Gegenden wünschen sich Flüchtlinge. Statt über so etwas wird leider
       praktisch nur noch über besser gesicherte Grenzen diskutiert.
       
       Die wichtigste Lehre aber ist: Wir müssen Integration viel entspannter
       sehen, müssen sie als Prozess begreifen, der über Generationen hinweg
       verläuft. Natürlich haben nicht alle Einwanderer demnächst einen guten Job,
       viele werden auch nicht gut Deutsch lernen. Es macht keinen Sinn, auf
       Biegen und Brechen die Erwachsenen integrieren zu wollen. Aber man kann
       realistische Perspektiven schaffen und vor allem dafür sorgen, dass ihre
       Kinder gut in dieser Gesellschaft ankommen.
       
       7 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
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