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       # taz.de -- Zeitreisen für Anfänger: Ein Kuss für die Ewigkeit
       
       > Willkommen Marty McFly! Das Milchgesicht mit dem Skateboard aus „Zurück
       > in die Zukunft“, kommt am Mittwoch in der Zukunft an.
       
   IMG Bild: Ein Bild für die Aliens. In 80 Jahren.
       
       Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nicht nur die Hüterin des Euro. Sie
       ist möglicherweise auch die Hüterin der Antwort auf eine der größten Fragen
       überhaupt: Sind Zeitreisen möglich? Leider gehört das Thema nicht zum
       Mandat der Bank.
       
       Dazu ein Gedankenexperiment: Sollte die Menschheit der Zukunft eine
       Zeitmaschine erfinden, die Tourismusindustrie würde frohlocken.
       Zeitreise-Touris würden durch Wurmlöcher warpen, uns im Jahr 2015 besuchen
       und mit seltsamen Frisuren und weltfremder Kleidung in der Berliner U-Bahn
       nicht weiter auffallen. Aus Versehen würden sie mit Euro-Scheinen aus dem
       Jahr 2022 bezahlen – was im [1][Falschgeld-Analysezentrum der EZB]
       auffallen würde.
       
       Wären die Scheine bis auf das Datum absolut perfekt, dann müsste das Geld
       aus der Zukunft stammen. Ein Sprecher der EZB schreibt allerdings auf
       Anfrage, von einem Zukunftsdatum auf einer Banknote habe er noch nicht
       gehört. Der dämlichste Fall von Falschgeld sei mal ein 30-Euro-Schein
       gewesen.
       
       Die Recherche ist nicht komplett gaga, immerhin suchen Wissenschaftler nach
       Spuren von Zeitreisenden in der Gegenwart. Genau genommen sind es Robert J.
       Nemiroff und Teresa Wilson vom Department of Physics der Michigan
       Technological University. Die beiden hatten die Idee, dass sich
       [2][dusslige Zeitreisende im Internet] über Ereignisse informieren könnten,
       die noch gar nicht passiert sind.
       
       ## Hawking allein zu Haus
       
       Nemiroff und Wilson durchwühlten historische Tweets und Suchanfragen bei
       Bing und Google beispielsweise nach dem Stichwort „Pope Francis“, Papst
       Franziskus. Hat jemand vor dem März 2013 nach einem Papst gegoogelt, der
       noch gar nicht gewählt war? Ergebnis: Nein. Nemiroff [3][erweiterte die
       Suche jetzt] auf Bilder. Hat ein verstrahlter Zeitreisender eine Aufnahme
       des Pluto der Raumsonde „New Horizons“ ins Netz gestellt, bevor es die
       Bilder überhaupt gab? Ergebnis: nein.
       
       So, nun zum Selbstversuch. Falls Sie diesen Text in ferner Zukunft lesen
       und Zeitreisen möglich sein sollten: Bitte mailen Sie mir meinen Artikel in
       die Vergangenheit, zum 15. 10. 2015. Dann brauch ich ihn jetzt, am 19. 10.
       2015, nicht zu schreiben. Anschließend könnten Sie noch Stephen Hawking
       besuchen.
       
       Der hat 2009 eine Party für Zeitreisende organisiert. Er verschickte vor
       dem Fest keine Einladung, sondern danach. Er wollte prüfen, ob jemand in
       der Zeit zurückreisen würde, um ihn in seiner Tristesse zu erlösen. „Ich
       saß ziemlich lang rum und keiner kam“, [4][sagte Hawking in einem
       Interview].
       
       Ein Scherz des Zeitreise-Skeptikers Hawking. Aber wäre es denn nun möglich,
       Zeitreisen?
       
       „Die meisten nüchternen Physiker würden die Frage mit Nein beantworten“,
       schreibt Brian Greene, einer der führenden Stringtheoretiker (eine irre
       Theorie über das Universum) und Professor an der Columbia University New
       York in seinem Buch „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“. Allerdings
       schränkt er ein: Niemand habe bewiesen, dass Zeitreisen in die
       Vergangenheit physikalisch ausgeschlossen sind.
       
       ## Grau ist alle Theorie
       
       Schuld ist wie immer Albert Einstein und seine Spezielle
       Relativitätstheorie. Die Formeln beschreiben die absurde Raum-Zeit, in der
       wir leben. Demnach flitzen wir stets und immer mit Lichtgeschwindigkeit
       durch eben diese Raum-Zeit. Je schneller durch den Raum, desto langsamer
       durch die Zeit. Die Summe bleibt immer gleich. Wer also mit
       Fast-Lichtgeschwindkeit durchs All fliegt, wird feststellen, dass auf der
       Erde die Zeit wesentlich schneller vergeht – und bei der Rückkehr in der
       Zukunft landen.
       
       Die Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie sind noch verrückter. Dort
       lassen sich mathematische Beschreibungen von schnell rotierenden oder
       extrem dichten Massen wie Schwarze Löcher einsetzen. Dann rechnen Physiker
       jahrelang rum, um zu schauen, was dann – theoretisch – mit Raum und Zeit
       passiert. Heraus kommen Wurmlöcher im Raum-Zeit-Gefüge, aus denen [5][der
       Physiker Kip Thorne], Professor am California Institute of Technology, eine
       theoretische Zeitmaschine schlussfolgert. Andere errechneten Closed
       Timelike Curves, geschlossene Zeitschleifen, bei denen Elementarteilchen in
       der Zeit zurückreisen könnten. Allerdings ist nichts davon je beobachtet
       worden.
       
       Der deutsche Physiker Thomas Naumann erforscht am Beschleunigungszentrum
       Desy in Zeuthen, ob es mehr als drei Raumdimensionen gibt. Bis zu sieben
       weitere könnten es sein. „Das hört sich spektakulärer an, als es ist“, sagt
       Naumann am Telefon. Ein Praktiker mit klarer Meinung über die theoretischen
       Modelle zum Zeitreisen: „Das sind äußerst komplizierte mathematische
       Konstrukte, die vielleicht nur zehn oder 20 Menschen auf der Welt wirklich
       verstehen. Wenn überhaupt, hätten sie nur in extrem starken
       Gravitationsfeldern oder in der subatomaren Welt Bedeutung. Unter unseren
       Lebensbedingungen sind sie ohne jede praktische Relevanz. Wir werden also
       kein Reisebüro für Zeitreisen eröffnen können“, sagt er.
       
       ## Schlechte Texte und andere Paradoxe
       
       Viele Physiker sagen intuitiv, dass die Paradoxien des Zeitreisens selbige
       verhindern müssten. Nehmen wir mein Selbstexperiment: Was, wenn ein Leser
       aus der Zukunft meinen Artikel so schlecht findet, dass er wütend in die
       Vergangenheit reist. Er füllt mich in einer Kneipe ab, um mich am Schreiben
       zu hindern.
       
       Schreibe ich nichts, gibt es künftig auch keinen empörten Leser (Leserinnen
       würden nicht so ein Gewese um schlechte Artikel machen). Also reist er auch
       nicht in die Vergangenheit und füllt mich auch nicht ab. Also schreibe ich
       den Artikel doch. Woraufhin der Leser der Zukunft sich doch wieder
       echauffiert. Und mich abfüllt. Woraufhin ich wieder nichts schreibe. Das
       geht ewig so. Ein Paradoxon.
       
       Über die logischen Brüche des Zeitreisens haben Physiker viel nachgedacht.
       Green schreibt, die Sache sei einfach aufzulösen, man müsse nur die
       Existenz eines freien Willens verneinen. Dann sind wir Sklaven der
       Naturgesetze. Da die keine logischen Paradoxien zulassen, könnte der Leser
       vielleicht in die Vergangenheit reisen, mit dem Ziel, mich unter den Tisch
       zu saufen. Er würde aber auf jeden Fall scheitern, weil es die Logik des
       Universums nicht zulassen würde. Ich wäre qua Naturgesetze extrem
       trinkfest.
       
       ## Besoffen und nüchtern zugleich
       
       Der Quantenphysiker David Deutsch, ein angesehener Experte seiner Zunft,
       [6][rechnet wiederum mit Multiversen]. Dahinter steckt eine zulässige
       Interpretation der Quantenphysik. Demnach teilt sich das Sein in jedem
       Augenblick in unendlich viele Paralleluniversen auf. Es gibt also unendlich
       viele Universen, in denen ich Millionär bin, und unendlich viele, in denen
       Bayern München mit null Punkten und null Toren Tabellenletzter ist.
       
       Nach der Theorie würde der wütende Leser mit seinem Zeitsprung in ein
       Paralleluniversum hüpfen, in dem er mich unter den Tisch säuft. Ich würde
       den Text in diesem Universum dann wirklich nicht schreiben, aber weil der
       Typ ja aus einem Paralleluniversum kommt, in dem ich nüchtern bleibe und
       schreibe, ist das logische Paradoxon gelöst. Wohlgemerkt: Deutschs Theorie
       ist kein Quatsch. Sie ist eine mathematisch zulässige Interpretation der
       Quantenphysik.
       
       Zum Schluss ein klein wenig Romantik. Denken Sie an einen wundervollen
       Moment. Ich würde einen Kuss vorschlagen. Laut Relativitätstheorie ist es
       nämlich so, dass es bis zum Ende aller Tage im Raum-Zeit-Gefüge des
       Universums einen Punkt gibt, von dem aus gesehen dieser Kuss gerade jetzt
       passiert. In 80 Jahren wäre für ein Alien, das in 80 Lichtjahren Entfernung
       mit einem extrem guten Teleskop die Erde anpeilt und diesen Kuss
       beobachtet, dieser Moment Gegenwart. Green schreibt dazu, dass sich jeder
       Augenblick unauslöschlich ins Gefüge der Raum-Zeit einbrennt. Eine
       kosmische Timeline. Dass Sie schon tot wären, wenn das Alien ihren Kuss
       liked – drauf geschissen jetzt.
       
       21 Oct 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ecb.europa.eu/euro/html/counterfeiting.de.html
   DIR [2] https://thewinnower.com/papers/searching-the-internet-for-evidence-of-time-travelers
   DIR [3] https://plus.google.com/+RobertNemiroff/posts/RG7rgkz5Axg
   DIR [4] http://arstechnica.com/science/2012/07/steven-hawking-on-time-travel-m-theory-and-extra-terrestrial-life/
   DIR [5] http://www.its.caltech.edu/~kip/
   DIR [6] http://xxx.lanl.gov/abs/quant-ph/0104033
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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