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       # taz.de -- Innovationscamp „Proof of concept 21“: Zukunft selbstgemacht
       
       > Junge Tüftler entwickeln in einem französischen Innovationscamp
       > umweltschonende Produkte – Ökoräder und Kreislaufduschen.
       
   IMG Bild: Keine Ahnung, was es ist. Aber es ist innovativ und fancy. Und hübsch.
       
       Garancières taz | Milena Sonneveld ist auf Feedback aus. „Würdest du dieses
       Cargo-Bike kaufen? Und wie würdest du es verwenden?“, fragt die junge
       Belgierin. „Als mobiles Open-Air-Kino? Als fahrbaren Grill? Oder lieber mit
       eingebautem Kühlschrank für Einkäufe?“ Nichts scheint unmöglich in der
       Freiluft-Werkstatt ihres siebenköpfigen Teams. Es setzt sich zusammen aus
       den Kollektiven Urban Foxes und Soft Revolution sowie dem Ingenieursduo
       Ciklik. Gemeinsam tüfteln sie an etwas, das es so noch nicht gibt: das
       Lastenfahrrad „Vélo m2“ mit einer eingebauten Batterie, das nicht nur
       fahren, sondern unterschiedliche Funktionen ausüben kann.
       
       Ein Ökostrom-Zweirad, auf dem sich Würstchen grillen oder Filme zeigen
       lassen – was wie ein schräger Einfall klingt, hat einen ernsthaften
       Hintergrund, erläutert Milenas Teampartner Yannick Schandene. „Wir wollen
       Alternativen zu den vielen Autos in unseren Städten schaffen, um den
       öffentlichen Raum mehr zur Geltung zu bringen.“ Während er aus dem
       Filmfestival-Bereich kommt, bringen Ingenieure wie Milena Sonneveld das
       technische Know-how mit. Noch stehen sie etwas ratlos vor den einzelnen
       Modulen, aus denen ihre fahrende Innovation entstehen soll.
       
       Vielleicht gelänge ihnen die Entwicklung auch in ihrem Brüsseler
       Kämmerlein, wie sie es nennen. Leichter aber ist es im Schloss Millemont im
       französischen Garancières, das 50 Kilometer westlich von Paris liegt. Denn
       dort umgeben sie rund 100 andere Tüftler und Bastler aus der ganzen Welt,
       mit denen sie sich austauschen, von deren Fähigkeiten sie profitieren
       können. Gemeinsam ist ihnen allen das Ziel, neue Produkte für eine
       ressourcenschonende Zukunft zu schaffen, die kopierbar, reparabel und
       dezentral herstellbar sind.
       
       „Proof of concept 21“, kurz POC21, nennt sich das fünfwöchige
       Innovationscamp, das am 19. und 20. September mit zwei Tagen der offenen
       Tür endet. Der Name spielt mit „COP21“, der offiziellen Bezeichnung der
       UN-Klimakonferenz, die am Jahresende in Paris stattfinden wird. Hohe
       Erwartungen ruhen auf den UN-Mitgliedsländern, wenn sie versuchen, sich auf
       ein Minimalziel für die Begrenzung der Erderwärmung zu einigen.
       
       ## In die Geschichte eingreifen
       
       POC21 sieht sich nicht als Gegenveranstaltung, man will eigene Akzente
       setzen. „Zukunft selbstgemacht statt Endlosdebatten“, lautet eines der
       Schlagworte. „Sexy wie Apple und offen wie Wikipedia“ ein anderes.
       
       „Vor dem Hintergrund der COP21 können wir in die Geschichte eingreifen und
       sie mit konkreten Projekten selbst mitgestalten“, sagt Benjamin Tincq,
       einer der Initiatoren. Man wolle eine Alternative zur Konsum- und
       Wegwerfgesellschaft aufzeigen, aber auch die Möglichkeit eines
       Wirtschaftssystems, das auf Teilen statt auf Profit und Wettbewerb aus ist.
       
       „Vielleicht wirken wir auf den ersten Blick wie verrückte Freaks“, räumt
       Tincq ein. „Aber wir glauben, dass wir etwas bewegen können. Open Source
       bedeutet nicht automatisch, dass Ideen gratis sind und ohne Business-Modell
       auskommen: Es gibt sie, wir haben und entwickeln sie.“
       
       Tincq ist Mitbegründer von Ouishare, einem internationalen Netzwerk zur
       Förderung kooperativer Projekte. Gemeinsam mit dem Berliner Kollektiv Open
       State, das sich der Entwicklung neuer Gesellschaftsmodelle widmet, hat es
       ins Schloss Millemont eingeladen. Es ist eine in diesem Ausmaß bisher
       einmalige Zusammenkunft von Tüftlern und Designern, Ingenieuren, Medien-
       und Marketingexperten. Über 20 internationale Partner, darunter die
       Universität Potsdam, unterstützen sie. Unternehmen und Stiftungen tragen
       jeweils rund 40 Prozent des Budgets, das fast eine Million Euro beträgt. 20
       Prozent stammen aus öffentlichen Zuschüssen.
       
       ## Nicht nur ein idyllisches Feriencamp
       
       Herausragend wirkt auch der Ort des Treffens – das alte Anwesen diente
       bereits als Kulisse für Filme wie „Marie Antoinette“ oder „Coco Chanel“.
       Nun vermietete es der Besitzer für POC21 nicht nur, um seine Ausgaben zu
       decken. Ihm gefalle die Idee, ein „Zentrum im Dienste der Ökologie“ daraus
       zu machen.
       
       Optisch prallen hier Welten aufeinander. An den hohen Wänden hängen wild
       beschriebene Plakate fürs Brainstorming, zwischen den schweren
       Samtvorhängen stehen Flachbildschirme und auf dem Parkettboden bunt bemalte
       Konstruktionen für perfekte Mülltrennung. „Hochmoderne 3-D-Drucker neben
       alten Bildern und CNC-Fräsen im Schlosshof – das ist ein witziger
       Kontrast“, sagt Tincq schmunzelnd.
       
       Der Eindruck eines idyllischen Feriencamps täuscht: Es gibt eine klare
       Organisation, die Tage beginnen und enden mit Teambesprechungen,
       konzentriert wird in den Holz- oder Metallateliers und vor den Laptops
       gearbeitet. Ein achteckiger Raum mit Spiegeln an vier Wänden dient als
       Besprechungsraum. Wo sich einst adelige Damen während der Ankleideprozedur
       von allen Seiten begutachten konnten, wird heute ein Projekt von
       verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet.
       
       Das versinnbildlicht die Grundidee von POC21 – der gemeinsame Weg ist das
       Ziel. „Was zählt, ist weniger das Ergebnis als der Entstehungsprozess“,
       sagt Milena Sonneveld. „Wir haben hier ganz unterschiedliche
       Inspirationsquellen, die uns weiterbringen.“ Dass sie ihren Urlaub
       arbeitend verbringt, sieht die quirlige Ingenieurin als „Wahnsinnschance“.
       Und auch, dass es ihr Vélo m2 unter die zwölf Projekte geschafft hat, die
       die Organisatoren im Vorfeld aus 200 Bewerbungen auswählten. An ihnen
       arbeiten die Teams nun miteinander, übergreifend und mit Unterstützung
       durch Mentoren und Experten von außen.
       
       ## Klug wie die Natur
       
       Die Projekte umfassen die fünf Schlüsselbereiche Ernährung, Wohnen,
       Mobilität, Kommunikation und Energie – von der Kreislaufdusche „Showerloop“
       über eine Windturbine aus Recyclingmaterial für 25 Euro bis zum
       hocheffizienten Wasserkocher „Nautile“ aus Keramik, benannt nach dem
       Meereslebewesen Nautilus. Er soll ebenso klug Ressourcen einsparen, wie es
       die Natur tut, erklären der Industriedesigner Guillian Graves und der
       Bio-Ingenieur Michka Mélo.
       
       „Bei einem Wasserkocher sind nur 20 Prozent des Energieverbrauchs verbunden
       mit Produktion, Transport und Abfall. 80 Prozent fallen bei der Verwendung
       an.“ Um den Verbrauch zu senken, überdenken sie daher jeden Schritt von der
       Erhitzung über die Abmessung der benötigten Wassermenge bis zur Isolation –
       und lassen sich dabei von der Tierwelt inspirieren.
       
       „Die Fellhaare des Eisbären sind hohl, deshalb trägt auch unser Gerät hohle
       Zacken auf der Oberfläche, um eine isolierende Luftschicht darunter
       einzuschließen“, beschreiben sie. „Der Nautilus hat in seiner
       spiralförmigen Muschel kleine Kammern, die er mit Wasser füllt, um ins Meer
       hinabzutauchen, und die er leert, um wieder hochzukommen: Deshalb
       konstruieren wir im Inneren des Gerätes ein Kreis-System, um nur so viel
       Wasser zu erhitzen, wie auch gebraucht wird.“
       
       Die Kugelform des Geräts sei wiederum Tieren nachempfunden, die sich bei
       Kälte zusammenrollen. Dekorativ sieht der Kocher bereits aus, nur solle er
       noch leichter und zugleich robuster werden – und vor allem bezahlbar, sagen
       die beiden Franzosen. „Das bereitet uns noch Kopfzerbrechen“, geben sie zu.
       „Schließlich wollen wir nicht nur für eine Elite produzieren.“
       
       ## „Es geht uns nicht um Profit“
       
       Denn es muss zwar niemand „liefern“ – aber die Anwendbarkeit der Produkte,
       die später in einem Katalog und einer Wanderausstellung vorgestellt werden,
       wird zeigen, ob das Experiment POC21 den Praxistest besteht. Beim Team von
       Sunzilla ist das schon der Fall. Die fünf jungen Berliner sitzen auf einer
       Wiese hinter dem Schloss im Schatten ihres mobilen Solarkraftwerks.
       
       Vor ihnen ausgebreitet liegen Zeichnungen, die zeigen, wie sie ihren
       Prototypen weiterentwickeln wollen. Er versorgt bereits das Zeltlager, in
       denen die Teilnehmer schlafen, mit Ökostrom. Bisher haben die Berliner die
       Kraftwerke, die dank eines Speichers auch an sonnenarmen Tagen Strom
       liefern, ehrenamtlich entwickelt. Bald wollen sie damit Geld verdienen. „Es
       geht uns nicht um Profit, aber bald möchten wir auch von unserer Arbeit
       leben“, sagen sie. Am besten in einem eigenen Unternehmen.
       
       Noch sind die Ideen kuriose Einzelstücke – aber vielleicht gehören der
       Solarstrom „to go“ oder das Cargo Bike mit Ökogrill in 20 Jahren zur
       Grundausstattung.
       
       10 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birgit Holzer
       
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