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       # taz.de -- Debatte um Demografie: Leere Dörfer, volle Städte
       
       > Aller Landromantik zum Trotz ziehen immer mehr Menschen in die Stadt.
       > Andernorts droht Verödung. Wie Niedersachsen gegensteuert, diskutiert ein
       > Kongress
       
   IMG Bild: Rethem an der Aller ist schön, aber schrumpft.
       
       HANNOVER taz | Eigentlich ist Rethem wunderschön. Pittoresk steht der Ort
       mit seinen aktuell 2.314 EinwohnerInnen im Allertal. Am Flussufer liegen
       Boote, von der Allerbrücke fällt der Blick auf Marienkirche und Windmühle.
       Im Kern dominieren Fachwerk und uraltes Kopfsteinpflaster: Die Stadtrechte
       bekam Rethem schon 1353 verliehen - und steht damit auf Platz 95 der
       kleinsten Städte Deutschlands.
       
       Doch wer die zentrale „Lange Straße“ herunterfährt, kann sich eines
       gewissen morbiden Eindrucks kaum erwehren: Scheinbar stirbt die Stadt
       gerade. Ein griechisches Restaurant hat geschlossen, ebenso ein Hotel mit
       Gasthof. Ein Elektrofachhandel ist verschwunden, dazu Leerstände. Und um
       die Ecke macht per Räumungsverkauf gerade das Uhren- und
       Optikerfachgeschäft C.C. Johannsen dicht - nach 180 Jahren vor Ort. Die
       Konkurrenz aus dem Internet sei groß, der Verdienst gering geworden, klagte
       die Inhaberin in der lokalen Kreiszeitung.
       
       Verwunderlich ist das nicht: Auch die Zahl der potenziellen KundInnen wird
       kleiner. In Rethem leben immer weniger Menschen. In den vergangenen zehn
       Jahren ist die Zahl der EinwohnerInnen um mehr als vier Prozent gesunken -
       in der Samtgemeinde mit den umliegenden Dörfern zusammen sind es sogar mehr
       als fünf Prozent. Damit ist das Städtchen Vorreiter eines landesweiten
       Trends: Glaubt man einer Studie der landeseigenen N-Bank, wird die
       Bevölkerung Niedersachsens bis 2035 um ebenfalls fünf Prozent von aktuell
       knapp acht auf rund sieben Millionen Menschen schrumpfen. Grund dafür sind
       nicht nur sinkende Geburtenraten - auch die Attraktivität der Großstädte
       ist ungebrochen: Entgegen dem Trend dürfte Hannover in 20 Jahren 14 Prozent
       mehr EinwohnerInnen haben als heute; in Braunschweig sollen es 13 Prozent
       sein.
       
       VerliererInnen sind dagegen ländliche Regionen weitab von Großstädten. Im
       Harz könnte etwa der Kreis Osterode fast ein Drittel seiner BewohnerInnen
       verlieren. Dem Kreis Goslar droht ein Bevölkerungsschwund von 23,
       Lüchow-Dannenberg von 18 Prozent.
       
       Die Städtchen und Dörfern dort stehen vor einer Abwärtsspirale:
       Einkaufsmöglichkeiten brechen weg, Busse und Bahnen fahren noch seltener,
       das Kulturangebot wird noch dünner. Deshalb könnten noch mehr Leute die als
       unattraktiv empfundene Gegend verlassen: „Es entsteht ein Teufelskreis“,
       warnt N-Bank-Vorstand Sabine Johannsen - das Landesinstitut bewilligt
       Förderprogramme von Land, Bund und EU und sieht schon heute große Teile
       Niedersachsen vor „dramatischen“ Schwierigkeiten.
       
       Alarmiert geben sich auch Wirtschaft und Politik: „In den nächsten zehn
       Jahren werden wir erleben, dass die ersten Unternehmen aufgrund des
       demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ihre Pforten schließen
       müssen“, sagt Volker Schmidt, Chef des Arbeitgeberverbands der
       niedersächsischen Metallindustrie. Auch SPD-Ministerpräsident Stephan Weil
       hält den Bevölkerungsschwund für die „größte Herausforderung“ an sein
       Bundesland - und hatte gestern deshalb schon zum zweiten Mal zu einem
       „Demografiekongress“ (siehe Kasten) nach Hannover geladen.
       
       Dabei liegen viele Konzepte zur Stärkung der Dörfer bereits vor. „ Wichtig
       sind Arbeitsplätze, gute Verkehrsverbindungen - und schnelles Internet“,
       sagt Ulrich Harteisen, der an der Hochschule für angewandte Wissenschaft
       und Kunst in Göttingen Ressourcenmanagement lehrt. Nötig sei aber auch
       „soziale Daseinsvorsorge“ wie eine erreichbare medizinische Versorgung,
       sagt der Professor, der auch beim „Demografiekongress“ sprach. Auch sollte
       das Engagement von BürgerInnen in Pflege oder Bildung, durch freie Schulen,
       finanziell stärker unterstützt werden. Vorhanden ist das Geld jedenfalls:
       Erst Ende Mai genehmigte die EU Niedersachsen 320 Millionen Euro, mit denen
       bis 2020 der Bevölkerungsschwund auf dem Land abgefedert werden soll.
       
       3 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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