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       # taz.de -- Rafael Behr über Polizistenschweigen: „Verräter werden sanktioniert“
       
       > Gegen das Schweigen vieler Polizisten bei Straftaten in den eigenen
       > Reihen könnte ein unabhängiger Polizeibeauftragter helfen, sagt
       > Wissenschaftler Behr.
       
   IMG Bild: Sollten laut Polizeiwissenschaftler Behr in der Ausbildung auch ein soziales Praktikum machen: Polizeianwärter in Hamburg
       
       taz: Herr Behr, wie kann es sein, dass auf einer Wache Flüchtlinge
       misshandelt werden und die KollegInnen stehen drumherum? 
       
       Rafael Behr: Das liegt an der Gruppenkultur bei der Polizei. Dort geht es
       in der Regel sehr autoritär zu. Es gilt die alte PolizistInnenregel, dass
       man im Dienst unbedingte Solidarität pflegt und die Dinge, die im Dienst
       passieren, untereinander bleiben. Geheimnisse werden gehütet.
       
       Weil PolizistInnen voneinander abhängig sind? 
       
       Das ist meine Hauptthese. Die PolizistInnen machen das nicht aus Liebe,
       Zustimmung oder weil alle das Gleiche denken, sondern weil in solchen
       Dienstgruppen Abhängigkeiten entstehen. Jeder macht im Laufe seiner
       Dienstzeit etwas, wofür er die Diskretion der anderen braucht. Wer etwas
       verrät, wird deshalb stärker sanktioniert als derjenige, der etwas
       Übergriffiges getan hat.
       
       Wie werden die „VerräterInnen“ sanktioniert? 
       
       Durch Ausschluss – heute würden wir es Mobbing nennen. Die KollegInnen
       werden als Kameradenschwein behandelt und bekommen keinen Fuß mehr auf den
       Boden.
       
       Ein starker Gruppendruck. 
       
       Ja. Ein weiteres Problem ist aber, dass es die normative Klarheit, die den
       PolizistInnen von der Rechtssprechung unterstellt wird, also dass sie
       sofort wissen, was gut und was böse, was Recht und was Unrecht ist, nicht
       gibt.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Es ist beispielsweise nicht immer ganz klar, ob in einer Dienststelle das
       Anschreien von Klienten üblich ist oder ob dieses Verhalten schon ein
       Verstoß ist. Gerade für junge PolizistInnen, die neu auf eine Wache kommen,
       sind diese Situationen schwierig einzuschätzen. Viele Beamte schweigen
       zudem, weil sie nicht selbst als MittäterIn gelten wollen.
       
       Wie könnte sich dieser Zustand verbessern? 
       
       Neutrale Polizeibeauftragte oder Kontrollstellen, an die sich
       PolizistInnen, aber auch die Bevölkerung, wenden können – außerhalb des
       Hierarchiesystems der Polizei. Gerade von jungen PolizistInnen kann man
       nicht verlangen, dass sie sich sofort entschließen, ihre Kollegen
       anzuzeigen. Sie gefährden damit auch ihre berufliche Existenz.
       
       Glauben Sie, Hannover ist ein Einzelfall und der Beschuldigte ein
       Einzeltäter? 
       
       Nein. Es gibt immer mal wieder Berichte über charismatische, männliche
       Polizisten die ganze Gruppen manipulieren, aber die Polizei ist insgesamt
       ein Kameradschaftssystem. Die Beamten handeln ganz selten allein. Und der
       Beschuldigte in Hannover hat sich ja, falls das stimmt, dieser Taten sogar
       gebrüstet. Er brauchte also diesen Resonanzraum.
       
       Zieht die Polizei solche Leute an? 
       
       Das wird immer wieder vermutet, es gibt dafür aber überhaupt keine
       empirischen Belege. Was wir wissen ist, dass sich viele junge Leute, die
       sich die Polizei als Arbeitgeber aussuchen, soziale Sicherheit und
       Geborgenheit wünschen. Aber dass die Polizei strukturell autoritäre oder
       gewaltaffine Persönlichkeiten anzieht, würde ich bis heute verneinen. Da
       sind Institutionen wie die Bundeswehr viel gefährdeter.
       
       Halten Sie Persönlichkeitstests für PolizistInnen für überflüssig? 
       
       Ja, die Eignungstests sind schon relativ gut. Was schlecht läuft, ist der
       Übergang zur Praxis. Wir bereiten die jungen PolizistInnen nicht
       ausreichend auf ihr späteres Handlungsfeld und die Lebenswelt ihrer
       späteren Klientel vor. Sie erleben die Gesellschaft immer aus der
       Herrschaftsperspektive der Polizei und die Personen, denen sie begegnen als
       Menschen, die Probleme bereiten, aber nicht als Menschen, die auch Probleme
       haben. Eine alte Forderung wäre deshalb ein Sozialpraktikum vor der
       Polizeiausbildung – beispielsweise bei der Tafel oder in der Notaufnahme.
       
       20 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Scharpen
       
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