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       # taz.de -- Haut-Gravierung: Für immer und ewig
       
       > Tattoos werden Mode-Acessoires. Dabei ist es nicht lange her, dass sie
       > soziale Zugehörigkeiten markierten.
       
   IMG Bild: Der Hamburger Tätowierer Herbert Hoffmann (1919-2010) ließ sich gern fotografieren.
       
       HAMBURG taz | Ich habe mit Tattoos nichts zu tun. Weder provozieren sie
       mich noch wollte ich mir je eines machen lassen. Ich habe noch nicht einmal
       über Tattoos nachgedacht. Nie.
       
       Je länger ich darüber nachdenke, desto seltsamer finde ich diesen Umstand.
       Vielleicht fühlt sich genauso ein Tabu an? Es ist nicht etwas, das man
       unterdrücken müsste, es ist etwas, was man einfach nicht denkt.
       
       Als ich ein Mädchen war, habe ich keine Tattoos in meiner näheren Umgebung
       wahrgenommen. Nur in der ferneren.
       
       Mit meiner Freundin suchte ich ab und zu den Aktivspielplatz auf, auch wenn
       er an der Grenze zu Osdorf lag, wo man in kastigen Mietshäusern mit
       Neonbeleuchtung lebte und Söhne und Töchter in Jeans, Lederjacken und
       Silberketten den Ton angaben. Sie machten mir keine Angst, aber es war
       klar, dass wir nichts miteinander zu tun haben würden. Zwischen dem
       wohlerzogenen Flottbek und dem asozialen Osdorf verlief eine glasklare
       Grenze, die an der Ebertallee Ecke Osdorfer Landstraße ihre
       Demarkationslinie hatte. Rocker verirrten sich nicht in unsere Gegend, wir
       nicht in ihre. Manchmal stießen unsere Welten zusammen, wenn wir ins
       Elbe-Kino gingen, um uns Bud-Spencer-und-Terence Hill-Filme anzusehen. Aber
       wir ließen uns weitestgehend in Ruhe.
       
       Für mich war sonnenklar, dass ich nie mit einem Typen aus dieser Gegend
       irgendetwas haben würde. Ihr Hamburger Slang war viel zu breit und stieß
       mich ab, ihr Deutsch war schlecht und ihre Ansichten, wenn sie denn
       überhaupt welche hatten, waren verabscheuungswürdig. Ich hatte meine
       Flottbeker Lektionen gelernt.
       
       Wahrscheinlich verbirgt sich hinter meinem Desinteresse an Tattoos diese
       alte Arroganz gegenüber der fremden, vermeintlich niederen Osdorfer Welt,
       die damals alles für mich symbolisierte, was man nicht sein durfte: arm,
       schlecht erzogen, schlecht in der Schule, ohne Abitur, ohne Bildung, zu
       aufgedonnert, zu männlich, zu weiblich, zu körperlich.
       
       Tätowierte genossen hier Ansehen. Totenköpfe und die Buchstaben H A T E,
       barbusige Frauen, Phallussymbole, auch Hakenkreuze, keine großen Tattoos
       wie sie heute viele tragen, sondern kleine, verbotene Zeichen schmückten
       die blassen Unterarme der Rocker vom Osdorfer Born.
       
       So sehr ich sie verabscheute, so sehr versuchte ich zu ignorieren, wie
       unwohl ich mich andererseits in Flottbek fühlte, wo 14-Jährige Partys mit
       Türstehern veranstalteten, wo Klassenkameraden AKW-Nein-Danke-Aufkleber von
       Autos abrissen, wo man am „Treff“ in der Waitzstraße seine neuesten
       Cashmere-V-Ausschnitt-Pullover, Lascapa-Stiefel und Collegeschuhe zur Schau
       stellte.
       
       Ich gehörte nicht dazu, weder zu der einen, noch zu der anderen Welt. Ich
       lebte genau an der Grenze, Kalkreuthweg, konnte mich eben gerade noch
       Flottbek zugehörig fühlen und Osdorf weit von mir weisen.
       
       Tattoos, habe ich herausgefunden, hatten ursprünglich den Sinn,
       Stammeszugehörigkeiten zu regeln. Das klingt so schön harmlos. Aber wenn
       ich daran denke, wie unsicher und instabil mein Zugehörigkeitsgefühl damals
       war, wie sehr ich versuchte, Ablehnungen zu entkommen, so schwindet alle
       Harmlosigkeit und ich spüre die alte Angst in mir aufsteigen, sowohl von
       der einen wie von der anderen Seite ausgelacht zu werden und keinen Platz
       zu finden.
       
       Insofern kann ich schon verstehen, was die Maori meinen, wenn sie sagen,
       dass man ihre Tribals nicht einfach übernehmen darf. Man muss sich ihrer
       als würdig erweisen. Man muss beweisen, dass man dazugehört.
       
       Damals versuchte ich dazuzugehören, indem ich mithielt. Der Kampf mit
       meinen linken Eltern um Collegeschuhe dauerte eine ganze Nacht. Sie fanden
       es grauenvoll, eine Tochter zu haben, die zu einem Stamm gehören wollte,
       der zwar nicht ganz so verabscheuungswürdig war wie die Rocker vom Osdorfer
       Born, aber doch verdorben genug vom vielen Geld, das in den Familien meiner
       Klassenkameraden zirkulierte und falsche Überzeugungen in ihnen weckte.
       
       Die Familie meiner Mutter musste sich nie um Zugehörigkeiten scheren, weil
       sie reich und somit die Häuptlinge waren. Wenn, dann wollte man zu ihr
       dazugehören. Und das war nicht einfach damit getan, dass man in ihr geboren
       wurde. Auch hier musste man sich als würdig erweisen, etwas Besonderes
       sein, wenigstens ein bisschen Ruhm nach Hause tragen.
       
       Wir gehörten zwar nicht zur Flottbeker Elite, aber meine Eltern fühlten
       sich dennoch als etwas Besseres. Sie hatten eine dicke Haut, es machte
       ihnen nichts aus, als ich ihnen erzählte, dass ich auf der Straße wegen
       meiner unmodischen Kleidung von einer älteren Dame angesprochen worden sei,
       aus was für einer Familie ich käme, ob wir kein Geld hätten.
       
       Ich habe überlegt, ob es in meinem Bekanntenkreis Tätowierte gibt. Gibt es
       nicht. Ich frage eine Freundin, Akademikerin wie ich. Nein, auch in ihrem
       Bekanntenkreis gibt es sie nicht. Ich frage C., meinen Lebensgefährten.
       Auch da nicht. Dabei sind Tätowierungen mittlerweile doch ein
       Massenphänomen. Hinz und Kunz trägt heute ein Tattoo, ganz unabhängig
       davon, ob er sich des Zeichens als würdig erwiesen hat oder nicht.
       Wahrscheinlich eher nicht. Wer von ihnen hat schließlich schon das Blut
       seiner Feinde vergossen, um dazuzugehören? Das nämlich kann ein Tribal
       bedeuten, das in den Katalogen dann unter „Mut“ und „Ausdauer“ firmiert und
       „Glück bringen soll“. Klar, wer schon getötet hat, hat den Beweis erbracht,
       seinen Stamm verteidigen zu können und darf sich nun zugehörig fühlen. Was
       ein Glück! Die Maori seien ein kriegerischer Stamm, heißt es.
       
       Und wir, was sind wir?
       
       Auch wenn ich ins Schwimmbad gehe, mein Gefühl immer das gleiche. Die
       Tattoos interessieren mich nicht. Sie provozieren mich nicht. Es ist, als
       wären sie gar nicht da. Ich sehe sie nicht. Ja, man könnte das Ignoranz
       oder Arroganz nennen und hätte wahrscheinlich nicht Unrecht.
       
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       22 Feb 2015
       
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